Burgenlandkreis Burgenlandkreis: Ein Ort der Trauer und Erinnerung
WEISSENFELS/MZ. - Es ist still, kurz nachdem am Donnerstagmittag zwei Stolpersteine in der Weißenfelser Friedrichstraße verlegt wurden. Nur das Spiel einer Geige durchbricht das Szenario, dann geht Uriel Adiv an der Gedenkstelle in die Hocke und senkt seinen Blick. Er hält inne, atmet schwer, wischt einige Staubkörner von einem der zwei Steine und faltet die Hände zum Gebet. Dann rollen Tränen über sein Gesicht, er wischt sie sich unter der Sonnenbrille weg und verharrt noch einige Minuten. Sein Sohn Assaf steht etwas abseits, aber genauso in sich gekehrt.
Gertrud und Siegfried Reyersbach - an sie wurde am Donnerstag mit der Verlegung der Stolpersteine gedacht. "Gertrud war die Tante meiner Mutter", sagt Uriel Adiv, der in Israel lebt. Derzeit macht er mit seiner Familie in Berlin Urlaub und kam von dort an die Saale. Seit eineinhalb Jahren besteht der Kontakt zwischen ihm und dem Simon-Rau-Zentrum Weißenfels. Der Verein organisierte die Gedenkveranstaltung. "Es ist eine Art Grab, denn ein solches gibt es ja nicht. Es ist ein Ort, an dem ich trauern kann", sagt der 59-Jährige.
In einer bewegenden Ansprache erzählt Uta Bernecker die Geschichte von Gertrud und Siegfried Reyersbach, die in der Friedrichstraße lebten. "Sie haben am 14. April 1942 ihrem Leben freiwillig ein Ende gesetzt", sagt sie. Zunächst hatte das Ehepaar noch Hoffnung, dem Nazi-Regime zu entkommen und in die USA ausreisen zu dürfen. Doch monatelang warteten sie vergebens auf die Papiere, die die Ausreise genehmigten. "Sie sahen im Freitod den einzigen Ausweg", erzählt Bernecker.
Was sie dazu bewogen hat, waren die Zustände der damaligen Zeit. Sie waren Demütigungen ausgesetzt, weil sie Juden waren, sie wurden aus der Weißenfelser Gesellschaft ausgegrenzt. Seit April 1940 durfte das Ehepaar nach 20 Uhr das Haus nicht mehr verlassen, es musste den Judenstern tragen und sein Haus mit einem weißen Papierstern kennzeichnen. "Wir wissen nicht, wann der Funke der Hoffnung erlosch. Welche Verzweiflung muss sie dazu getrieben haben?" fragt Bernecker. Kurz nachdem das Paar den Freitod gewählt hatte, kam das erhoffte Zertifikat für die USA-Ausreise.
Den Ausführungen hören Uriel und Assaf Adiv gespannt zu. Der 59-Jährige und sein 15-jähriger Sohn kennen das Schicksal ihrer Verwandten. "Meine Mutter ist 89 Jahre alt und in den letzten Wochen kommt immer wieder etwas hoch. Dann erzählt sie von den Verwandten", sagt Adiv, der viele Jahre lang in Berlin lebte und das Engagement des Rau-Zentrums Weißenfels lobt. 60 Jahre wurde nicht über die Geschehnisse der NS-Zeit in der Familie gesprochen, sagt er. "Die, die sich retten konnten, haben nichts von dem erwähnt, was sie erlebt haben. Ich bin aufgewachsen, als ob nichts gewesen wäre", sagt der Israeli. Inzwischen aber hat die Aufarbeitung der Schicksale in der Familie begonnen. Adiv legte einen Stammbaum an, in dem auch das Ehepaar Reyersbach vorkommt. "Es öffnen sich dadurch immer neue Schicksale, die man aufarbeiten muss", so Adiv, der sich demnächst für einen weiteren Stolperstein einsetzten will. In Kassel soll er an Verwandte erinnern, die ebenfalls dem Nazi-Regime zum Opfer gefallen sind.