Anfang im Kohlenschuppen
GERSTEWITZ/MZ. - Ein Schwarz-Weiß-Foto macht die Runde. "Das war der Anfang im alten Kohlenschuppen", erzählt Peter Kungl. Wie andere alte Fotos auch wird das Bild seines Vaters Josef morgen beim Tag der offenen Tür zum Jubiläum der Werkzeugschleiferei in Gerstewitz zu sehen sein.
Vor einem Vierteljahrhundert hat sich der Schlosser Josef Kungl in der Friedensstraße 5 in Gerstewitz selbständig gemacht. "Es war ein steiniger Weg", erinnert sich Rosina Kungl an die Anfänge. Fünf Jahre lang seien in der DDR viele Hürden zu überwinden gewesen, ehe ihr Mann, bis dahin beim Vorrichtungsbau in Weißenfels beschäftigt, 1986 endlich den eigenen Betrieb gründen konnte. "Wir durften nur für den Bevölkerungsbedarf arbeiten, nicht für Betriebe", erinnert sich die heute 73-Jährige. In den umliegenden Orten habe man Annahmestellen einrichten müssen. An Selbstverständlichkeiten von heute wie Telefon und Computer sei damals nicht zu denken gewesen. "Doch wir haben eine Nische gefunden und unser eigenes Geld verdient", blickt Rosina Kungl nicht ohne Stolz zurück.
Die Sache mit dem Telefon war auch in den Monaten der Wende ziemlich schwierig, weiß Peter Kungl, der ebenfalls als Werkzeugmacher bei der heutigen Fertigungstechnik GmbH gearbeitet hat und 1990 in der Firma seines Vaters eingestiegen ist. "Ich habe die Bestell-Listen am einzigen öffentlichen Telefon des Ortes auf der Post durchgegeben", erzählt der heute 51-Jährige über jene Jahre, die auch für die kleine Firma in Gerstewitz zur Zeit des großen Umbruchs werden sollten. "Es gab für uns keine Beschränkungen mehr. Schritt für Schritt konnten wir uns erweitern und Geschäftskontakte mit Betrieben der Region aufbauen", berichtet Kungl. 1997 übernahm er die Firma von seinem Vater.
Was einmal mit einem Ein-Mann-Betrieb auf 20 Quadratmetern begonnen hat, hat sich zu einer Firma auf einer Fläche von
460 Quadratmetern mit neun Mitarbeitern, davon derzeit zwei Lehrlinge, gemausert. In jenem alten Kohlenschuppen, in dem der inzwischen verstorbene Josef Kungl schon vor der Firmengründung Werkzeug in Feierabendarbeit bearbeitet hat, befindet sich heute der Werkzeughandel. Weitere Standbeine sind die Schleiferei, eine Reparaturwerkstatt für Elektrowerkzeuge und deren Verleih. Das Gros der Kundschaft kommt aus dem Raum zwischen Halle, Leipzig und Jena. So bearbeitet der Gerstewitzer Betrieb unter anderem die Maschinen zur Fleischzerlegung im Weißenfelser Schlachthof und der Kaufland Fleischwaren GmbH in Unterkaka. Neben den Aufträgen von Betrieben bietet die Werkzeugschleiferei Dienstleistungen für die Bevölkerung an.
"Wir sind heute gut aufgestellt", bilanziert Familie Kungl zum
25. Betriebsjubiläum. Ehefrau Regine kümmert sich um die Buchhaltung. Mutter Rosina ist noch immer die "gute Seele" des Unternehmens und sammelt eifrig Material für eine Firmenchronik, der morgen eine weitere Seite hinzugefügt wird. Um die Zukunft ist Firmenchef Peter Kungl, der "nebenbei" im Rat seiner Heimatstadt Weißenfels sitzt und bei den Stadtmusikanten Trompete bläst, nicht bange. Immerhin könne der Betrieb mit Holz- und Kunststoffbearbeitung, Metallzerspanung und Fleischzerlegung ein breites Spektrum anbieten und sei so in Krisenzeiten weniger anfällig. Und die Nachfolge an der Firmenspitze scheint in dritter Generation gesichert. Sohn Johannes studiert Maschinenbau. "Es ist ein gutes Gefühl, dass unser Sohn später einmal in der Firma einsteigen will", sagt der heutige Firmenchef.