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90er Jahre im Landkreis Weißenfels 90er Jahre im Landkreis Weißenfels: Auf der Leinwand durch die Vergangenheit

Von andreas richter 03.12.2013, 17:46
Johannes Kunze (v.) und Erik Bischoff sortieren Videokassetten aus der Zeit des kommunalen Kinoprojekts.
Johannes Kunze (v.) und Erik Bischoff sortieren Videokassetten aus der Zeit des kommunalen Kinoprojekts. Michael thomé Lizenz

weissenfels/MZ - Eine Rundfahrt durch Weißenfels kann spannend sein. Erst recht, wenn sie auf der Leinwand stattfindet und mehr als zwanzig Jahre in die Vergangenheit entführt. Das jedenfalls dachten sich Johannes Kunze und Erik Bischoff - und kramten kürzlich im Rahmen einer Veranstaltung der Volkshochschule altes Filmmaterial wieder heraus.

Ein heute längst in Vergessenheit geratenes Projekt war die Gründung einer Europa-Akademie am ehemaligen Institut für Lehrerbildung in Weißenfels. Am 14. Oktober 1991 versammelte sich dort reichlich politische Prominenz, um Weißenfels als einen Ort mit europäischer Perspektive zu feiern. Die Akademie sollte sich als Stätte der europabezogenen Bildung und des kulturellen Austauschs profilieren. Der damalige Bürgermeister Martin Neumann bezeichnete den Gründungstag der Europa-Akademie als einen neuen Baustein in der mehr als 800-jährigen Geschichte der Saalestadt. Heute ist das Haus in der Langendorfer Straße Sitz des Polizeireviers. An eine Europa-Akademie erinnern nur noch alte Filme. (ari)

„Rund 25 Leute sind zu dem Abend ins Geleitshaus gekommen“, erinnert sich Johannes Kunze, der beim Landkreis als Kulturmanager arbeitet. Leute, die beim Blick in den Rückspiegel dabei sein wollten. Die erleben wollten, wie ein kommunales Kinoprojekt der ersten Hälfte der 90er Jahre wieder aus dem Staub der Geschichte geholt wird.

Wie einst alles anfing, daran können sich die beiden Männer noch gut erinnern. Es war im Frühjahr 1991, da wurde Erik Bischoff, der vorher bei der Nationalen Volksarmee der DDR und dann noch bei der Bundeswehr als Militärmusiker aktiv war, über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beim Landkreis eingestellt. „Wir lernten uns kennen und bald entstand die Idee eines kommunalen Filmprojekts“, erinnert sich Kunze. Zunächst sollte Bischoff Filme, die in den 50er und 60 Jahren unter dem Titel „Weißenfelser Filmreporter“ entstanden sind, sichten und auf Kassetten sichern. „Smaragd hieß damals mein Tonbandgerät“, weiß der 48-Jährige noch heute.

Doch bald sollte die Sicherung alten Filmmaterials nicht mehr ausreichen. „Wir wollten Kino machen, Filme zeigen“, sagt Kunze. Eine geeignete Spielstätte fand man zunächst im Herrmannsgarten. „Wir hatten damals eine gute Resonanz“, erinnert sich Johannes Kunze. Die Filme wurden von Verleihern gekauft. Meist nicht die aktuellsten, aber immerhin. An „Die Leiden des jungen Werther“ kann sich Kunze zum Beispiel noch gut erinnern. Später zog das kommunale Kino vorübergehend in den bis heute vor sich hin dümpelnden „Goldenen Hirsch“ in der Nikolaistraße, das ehemalige „Haus der Werktätigen“, und dann ins Kulturhaus. „Die Blütezeit des kommunalen Kinos war 1993/94“, blickt Erik Bischoff zurück. Da zog man auch mit Filmen aufs Land. Nach Göthewitz zum Beispiel am Vorabend des 1. Mai, oder in ein Pflegeheim in Langendorf. „Jungbrunnenkino“, sagt Bischoff scherzhaft.

Schließlich wollten die Macher des kommunalen Kinoprojekts auch selbst kreativ werden, zumindest in bescheidenem Maße eigene Filme produzieren. Die Rundfahrt durch Weißenfels war ein solches Produkt. Nach und nach entstanden wertvolle Dokumente jener Zeit des Aufbruchs: Die erste Vereidigung bei der Bundeswehr nach der Wende, eine gemeinsame Sitzung der Kreistage von Weißenfels und des hessischen Odenwaldkreises, der Besuch des Schwedenkönigs in Lützen oder die Gründung einer Europa-Akademie (siehe Beitrag „Europa-Akademie. . .“). „Erik war eine Zeit lang der rasende Reporter im Landkreis“, meint Kunze. Eng habe er auch mit Schulklassen zusammengearbeitet. Ein wenig stolz ist Bischoff noch heute auf einen Werbefilm für Weißenfels, den er im Auftrag der Stadt für eine Wirtschaftsmesse gedreht hat.

1995 hatte das ganze Projekt allerdings seinen Höhepunkt überschritten. „Das war alles ziemlich aufwendig. Um das kommunale Kino erfolgreich weiterführen zu können, hätten wir es qualifizieren und technisch besser ausstatten müssen“, meint Bischoff, der heute als Sozialarbeiter beim Jugendamt des Landkreises beschäftigt ist. Und ein wenig bedauert Johannes Kunze schon, dass das kommunale Kino keinen längeren Atem hatte. 90 bis 100 Stunden Film sind in jener Zeit entstanden, schätzt der 57-Jährige. Zeitdokumente, die nicht für immer in der Schublade verschwinden sollten. Und deshalb, so finden Erik Bischoff und Johannes Kunze, soll der Filmabend im Geleitshaus nicht der letzte dieser Art gewesen sein.