Zur selben Zeit am selben Ort Zur selben Zeit am selben Ort: Kirmes ohne Schausteller Ralf Laubinger ist einfach undenkbar

Gonna - Eigentlich ist es ganz einfach. Für die Mädchen und Jungen in vielen kleinen Orten der Region um die Kreisstadt Sangerhausen sowieso. Ostern kommt der Osterhase und Weihnachten der Weihnachtsmann. Dazwischen aber ist Kirmes, dann kommen Kinder-Karussell, eine Schießbude und eine Bude mit tollen Süßigkeiten. Und Onkel Ralf und Tante Marion. Familie Laubinger eben, seit Jahren, ja Jahrzehnten in Lengefeld, Wettelrode, Großleinungen, oder, wie am anstehenden Wochenende, in Gonna zu Gast. Schausteller, ohne die und ihre Karussells eine Kirmes einfach keine Kirmes ist.
Einschlägige Nachschlagewerke kennzeichnen die Berufsgruppe als Personen, die Jahrmarkts-, Volksfest-, und Variete-Attraktionen an wechselnden Orten darbieten. Rechtlich gelten in Deutschland als „Schausteller“ die Betreiber von Jahrmarkt- und Kirmesvergnügungen, das heißt Betreiber von Fahrgeschäften wie Karussells, Riesenrädern, Achterbahnen, Autoskootern oder Attraktionen wie Wurf- und Schießbuden.
„Jedes Jahr sind wir zur selben Zeit am selben Ort. So wie es immer war. Wir sind da linientreu“, sagt Ralf Laubinger. In den Dörfern im Südharz und rund um Sangerhausen sind die Laubingers immer für eine Woche im Herbst zu Gast. Eben zur Kirmes. „Ich bin die dritte Generation. Mein Vater war Schausteller, auch der Opa“, sagt Ralf Laubinger lachend. Dennoch: 2015 ist etwas Besonderes: Schließlich hat feiert er in diesem Jahr doppeltes Jubiläum. Seinen 60. Geburtstag, wobei man Laubinger sein Alter nicht ansieht, hat er vor kurzem schon hinter sich gebracht. Und feiert jetzt Jubiläum auf der Kirmes-Tour. In Lengefeld haben die Laubingers in diesem Jahr zum 35. Mal Station gemacht. In Wettelrode sogar zum 60. Mal. Grund zum Feiern allemal, und zum Gratulieren. Geschenke gibt es für Ralf Laubinger, er wiederum ist nicht knausrig, spendiert Bier. Spricht mit den Menschen. Langes Schweigen, Stille, fehlende Gesprächsthemen – schlichtweg undenkbar.
Man kennt sich schließlich untereinander, hat sich was zu erzählen. Und Ralf Laubinger hat Geschichte und Geschichten parat. Von sich selbst. Von der Familie, die mit dem Zirkus Renz auf Tour war und im Jahr 1939 in Harzgerode strandet, weil Opa und seine drei Jungs zum Krieg eingezogen wurden. Von den Pferden, die plötzlich vor Krankenwagen gespannt wurden. Vom mühsamen Wiederbeginn nach dem Krieg, mit Ball- und Pfeilwurf-Buden. Vom Jahr 1955, in dem die Laubingers zum ersten Mal auf Südharz-Tour gingen, mit ihren Wagen in Großleinungen, Hainrode oder Wettelrode standen. Von der DDR, in der man den Schaustellern ihr „eigenes Süppchen“ kochen ließ. „Wir waren selbst in Schierke oder Stapelburg, mit Passierschein hat es funktioniert“, erinnert er sich. Und an die ungezählten Tage in den vielen kleinen und größeren Orten.
„Kirmes, das war was Besonderes. Das Erntedankfest, eben ein Höhepunkt im Dorf“, sagt er. Dann kam die Wende. „Klar hatten wir Angst, dass es weitergeht. Aber wir haben uns der Marktwirtschaft gestellt. Wir haben investiert. Was sollte ich denn auch machen. Das ist mein Leben, ich habe Spaß an meiner Arbeit.“
Dann spricht er von der Gegenwart, die nicht einfach ist: „Kinderkarussell, Schießen, Verlosung, das hat Tradition, das läuft. Das Stammpublikum kommt und bringt nun schon die Kinder und die Enkel mit“, freut er sich. Weit weniger schön sind andere Aspekte: „Heutzutage braucht man für alles einen Stapel Genehmigungen. Der Kostenfaktor ist enorm gestiegen.
Die wollen für alles Geld haben. Wir verdienen aber nur an zehn Monaten und da in zwei Tagen in der Woche Geld. Da kann einem schon mal die Lust vergehen“, sagt er. Und weiß doch, dass ihm die Lust nicht vergeht. Dazu hängt er zu viel an seinem Beruf, seiner Berufung. „Ich hatte doch keine andere Wahl. Im Körbchen hat mich doch keiner damals gefragt, ob ich in eine Wohnung oder einen Wohnwagen will. Es ist der Wohnwagen geworden, ich bin mit meinem Leben zufrieden.“
Ein Leben mit Prinzipien: „Man muss hinter dem Leben eines Schausteller stehen. Sauber, ordentlich und ehrlich – das ist meine Devise.“
Dennoch, ein wenig traurig ist Laubinger schon. Aus einem ganz einfachen Grund: Sein Sohn Maurice, viele Jahre mit auf Schausteller-Tour, ist jetzt schweren Herzens „sesshaft“ geworden, arbeitet in Harzgerode. Eben jenem Ort, in dem das Haus der Laubingers steht, und in den sich die Familie im Winter zurückzieht. Bis zum nächsten Frühjahr. Dann geht es wieder los. Und im Herbst nach Lengefeld, Wettelrode oder Gonna. (mz)
