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Pflegeheimplätze immer teurer Zunehmend mehr Bewohner müssen Hilfe zur Pflege beantragen

Ersparnisse der Senioren reichen oft nicht mehr aus. Fachleute aus Mansfeld-Südharz fordern dringend eine Reform der Pflege.

Von Beate Thomashausen und Helga Koch 09.08.2024, 19:59
Die Kosten für einen Pflegeheimplatz steigen immer weiter, zunehmend sind Senioren auf Hilfe zur Pflege angewiesen.
Die Kosten für einen Pflegeheimplatz steigen immer weiter, zunehmend sind Senioren auf Hilfe zur Pflege angewiesen. Foto: Symbolbild/dpa

Sangerhausen/MZ. - Mansfeld-Südharz liegt im (fatalen) Trend: Die Pflege in den Heimen wird immer teurer, und gleichzeitig sind immer mehr Heimbewohner auf Hilfe zur Pflege angewiesen. Denn oft reichen ihre Ersparnisse nicht mehr aus, um die Kosten selbst zu tragen – trotz Zuschüssen der Pflegekassen nach Pflegegraden und Entlastungszuschlägen je nach Wohndauer. Vertreter der bundesweiten Initiative „Pro Pflegereform“ fordern deshalb vehement, die Finanzierung der Pflege grundlegend zu ändern.

Kostenanstieg um 26 Prozent in einem Jahr

Direktorin Annette Turré von der Sozialagentur Halle sagt, dass „der Durchschnitt aller Kosten für den Heimbewohner derzeit etwa 2.625 Euro“ in Sachsen-Anhalt beträgt. Vor einem Jahr lag er noch bei 2.087 Euro; das bedeutet einen Anstieg um monatlich 538 Euro beziehungsweise fast 26 Prozent – innerhalb eines Jahres! Der Durchschnittsbetrag enthält den einrichtungseinheitlichen Eigenanteil, Kosten für Unterkunft und Verpflegung, Ausbildungsumlage und Investitionskosten. Aber: „Diese Kosten kommen noch hinzu zu den Kosten, die die Pflegekasse trägt.“

2023 bezogen landesweit schon rund 37 Prozent aller Heimbewohner Sozialhilfe. Sprecherin Romy Stietz von der Kreisverwaltung bestätigt, dass auch im Landkreis immer mehr Senioren Hilfe zur Pflege benötigen: Allein in der ersten Hälfte dieses Jahres haben schon 303 Personen Anträge neu gestellt. 2021 waren es insgesamt 388, 2022 bereits 431 und im Vorjahr dann 524 Anträge.

Individueller Hilfebedarf

Wie viel als Hilfe zur Pflege gewährt werde, sei unterschiedlich, sagt Stietz. Im Juni etwa lag der niedrigste Betrag bei gerade mal knapp elf Euro, der höchste bei 4.757 Euro. Der „angemessene und notwendige Hilfebedarf“ sei zu ermitteln und zu decken, sagt Stietz: „Der kann bei jedem Menschen anders sein.“ 75 Anträge seien von Januar bis Juni abgelehnt worden, teils wegen nicht vollständiger Unterlagen, wegen zu hohen Einkommens oder Vermögens. 28 Anträge wurden zurückgezogen.

Personalkosten ähnlich wie im öffentlichen Dienst

Beispiel DRK. Der Sangerhäuser Kreisverband betreibt vier stationäre Pflegeheime in Sangerhausen und Hohlstedt, die Plätze sind gefragt. „Im Durchschnitt“, sagt der Vorstandsvorsitzende Andreas Claus, „bekommen die Menschen hier etwa 1.500 Euro Rente im Monat. Ein Pflegeheimplatz kostet im Durchschnitt aber 3.000 Euro monatlich.“ Die exakten Kosten in den DRK-Heimen lassen sich für jeden Pflegegrad auf der Internetseite nachlesen, ähnlich lägen sie bei anderen stationären Pflegeeinrichtungen. „Haupttreiber sind die Personalkosten“, sagt Claus. Sie machten etwa 70 Prozent aus, Löhne und Gehälter lägen beim DRK überm Tarif. „Wir müssen das Personal gut bezahlen, ähnlich wie im öffentlichen Dienst.“ Doch das schlage sich eben auch in den Kosten für die Heimbewohner nieder.

Bereits Hospizcharakter in Pflegeheimen

„Beratung, Beratung, Beratung!“ Damit versuchen Geschäftsführer Florian Wend und seine Mitarbeiter von der in Hettstedt ansässigen Wend-Gruppe Senioren vor dem bösen Erwachen zu bewahren, wenn sie ins Pflegeheim ziehen wollen oder müssen. Zumeist müssen, denn nach Wends Erfahrung entschließen sich die Menschen immer später zu diesem Schritt, wenn sie bereits schwer pflegebedürftig sind. Er spricht davon, dass die Pflegeheime bereits eine Art Hospizcharakter bekommen haben, weil sich die Menschen auch aus Kostengründen scheuen, ins Heim zu gehen.

Unwägbarkeiten trotz Pflegeversicherung

In Hettstedt betreibt die Wend-Gruppe ein Pflegeheim, in dem 63 Senioren betreut werden können, außerdem zahlreiche alternative Wohn- und Betreuungsangebote für Senioren. Wend ist Vorstandsvorsitzender des Landesverbandes Hauskrankenpflege Sachsen-Anhalt. „Sagen wir es einmal so, bei einer Autoversicherung weiß ich, dass ich im Schadensfall einen Eigenanteil zu tragen habe und weiß genau, wie hoch der ist. Den Rest trägt die Versicherung. Bei der Pflegeversicherung ist das genau umgekehrt. Hier ist der Anteil der Pflegeversicherung festgeschrieben und der Versicherte schultert alle Unwägbarkeiten“, erklärt Wend. „Das muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden, wenn es sich um eine Pflegeversicherung handeln soll.“ Vielleicht ein Fünftel der Senioren könne heutzutage noch mit seiner Rente und, weil kleine Ersparnisse angezapft werden, den Eigenanteil allein tragen.

Pflegegrade oft erst spät zugebilligt

Allen anderen helfe man dabei, die Unterstützung zu bekommen, die das Sozialamt gewährt. „Mitunter zahlt das Amt und damit die Allgemeinheit aus Steuergeldern einen höheren Betrag als die Pflegekasse“, stellt Wend fest. Er beobachte auch, dass betagten Menschen erst sehr spät Pflegegrade zugebilligt werden. „Wir helfen ihnen dann, Widersprüche einzureichen und dranzubleiben, was Senioren meist sehr schwer fällt und wovor sie sogar Bedenken haben“, sagt Wend. „Wir möchten gern den Senioren ein schönes Zuhause bieten, aber es wird immer teurer. Die Leidtragenden sind die pflegebedürftigen Menschen. Hier muss sich grundsätzlich etwas ändern.“

Sozialer Sprengstoff

Genau das fordert auch DRK-Chef Claus. „In diesem System müssen Sockel und Spitze getauscht werden.“ Und zwar so, dass die Kunden einen festen Sockelbetrag zahlen, etwa 700 Euro monatlich, und alle weiteren Kosten die Pflegekasse trägt. Prognosen gingen davon aus, sagt Claus, dass künftig jeder Fünfte im hohen Alter pflegebedürftig werde. „Wo setzen wir als Gesellschaft die Prioritäten?“ Zurzeit werde der eine Mensch gegen den anderen ausgespielt: „Das ist sozialer Sprengstoff im System, das muss geändert werden.“