Plädoyer gegen Abriss Wie geht es weiter mit der Brücke in der Erfurter Straße in Sangerhausen?
Ein ehemaliger Sangerhäuser will die Fußgängerbrücke über die Erfurter Straße erhalten, der möglicherweise das Aus droht.
Sangerhausen/MZ - Hans-Jürgen Krug, der heute in Berlin lebt, ist Sangerhausen seit langem sehr verbunden. „Ich habe vor knapp 40 Jahren in Sangerhausen geheiratet“, schreibt der 68-Jährige in einem Brief an die MZ-Redaktion. „Bei meinem ersten Besuch in Sangerhausen ist mir neben dem zehngeschossigen Hochhaus an der Karl-Marx-Straße die benachbarte moderne Fußgängerbrücke über die Erfurter Straße sofort ins Auge gefallen.“ Mit Betroffenheit habe er deshalb die Information aufgenommen, dass die erst Ende der 1970er Jahren entstandene und wie er sagt, auch architektonisch bemerkenswerte Brücke im Zuge des geplanten Umbaus der Kreuzung möglicherweise abgerissen werden soll. Die MZ hatte am Samstag darüber berichtet.
Gefahrloser Übergang
Krug hält dagegen: „Diese Brücke habe ich mit meinen Kindern immer wieder genommen, weil sie einen gefahrlosen Übergang über die Hauptverkehrsstraße ermöglicht.“ Heute habe der Verkehr durch den Zubringer zur A 38 im Süden noch deutlich zugenommen.“ Durch eine Augenerkrankung ist Krug inzwischen völlig erblindet. „Im Straßenverkehr nehme ich deshalb jede Form der Barrierefreiheit, etwa in Form von akustischen Blindenampeln, Gehsteigmarkierungen, Fußgängertunneln oder Fußgängerbrücken dankbar an“, betont der Rentner. In Sangerhausen, speziell in der Altstadt, sei er allerdings auf die Begleitung seiner ortskundigen Frau angewiesen.
Er plädiert nun dafür, bei einer Entscheidung über die Zukunft der Brücke auch an die behinderten Einwohner Sangerhausens zu denken. „Denn in den Wohngebieten an der Brücke leben immer mehr Bergbausenioren mit von Jahr zu Jahr abnehmender Mobilität, nicht zu sprechen von blinden Menschen oder Rollstuhlfahrern.“ Das Hochhaus in der Karl-Marx-Straße unweit der Brücke sei ausdrücklich für das betreute Wohnen ausgelegt. „Durch den stufenlosen Zugang zur Brücke von beiden Seiten und die serpentinenartige Abfahrt zur Westsiedlung ist der Übergang ideal für Rollstuhlfahrer und Rollatorbenutzer, die eine Ampelkreuzung in der weiteren Entfernung nicht mit der nötigen Geschwindigkeit überqueren könnten.“ Mit seinem Blindenstock nehme er natürlich ausschließlich die Brücke und nicht „die Angstpartie von lärmigen Ampelkreuzungen“. Krug, fügt hinzu, er wisse nur zu gut, welche Umwege etwa Rollstuhlfahrer in Kauf nehmen müssen, nur um am Ende überhaupt eine rollstuhlgerechte Rampe oder einen Aufzug zu erreichen. Der Berliner engagiert sich seit Jahren in der Behindertenarbeit, darunter in der Selbsthilfevereinigung von Menschen mit Netzhautdegeneration „Pro Retina“ Deutschland.
Auch für Kindergartengruppen, Familien mit Kinderwagen, Kinder mit Fahrrädern, Skateboards oder Rollerskates ist die Brücke eine sichere Möglichkeit auf die jeweils andere Seite der Erfurter Straße zu gelangen. „Deshalb sollte das Bauwerk nicht dem Verfall oder dem Abriss preisgegeben werden.“
Oberbürgermeister Sven Strauß (SPD) hatte dagegen betont, dass eine endgültige Entscheidung noch nicht gefallen sei. Die Stadt wolle aber den unübersichtlichen und gefährlichen Kreuzungsbereich der Erfurter Straße mit der Straße der VS und dem Schartweg neu gestalten. „Hier ist ein Kreisverkehr mit Fuß-, Rad- sowie Fußgängerüberwegen vorgesehen. Ausgerüstet mit modernen Leiteinrichtungen wird damit zukünftig die barrierefreie und ganzjährig sichere Überquerung möglich sein.“ Dies stelle eine deutliche Verbesserung auch für Ältere oder Menschen mit Behinderungen dar.
Die Fußgängerbrücke sei dagegen „weder barrierefrei im Sinne aktueller Normen“, noch ganzjährig nutzbar. Strauß erinnerte daran, dass die Treppe hoch zur Brücke im Winter aufgrund von Rutschgefahr regelmäßig gesperrt werden müsse. Dann steht nur die Rampe zur Verfügung. Das Stadtoberhaupt hatte hinzugefügt: Eine Sanierung des Bauwerks würde baulich als auch finanziell sehr aufwendig. Denn die Brücke befinde sich in einem äußerst schlechten Zustand. Verkehrszählungen hätten zudem ergeben, dass sie nicht häufig frequentiert werde.
Teil der Postmoderne
Krug hält dem entgegen, dass die Brücke seiner Ansicht nach auch ein Architekturdenkmal der Postmoderne sei. „Das Ensemble aus Fußgängerbrücke und Hochhaus auf dem letzten Gipfel vor der Stadt ist eines der wenigen erhaltenen Zeugnisse aus einer noch nicht ganz vergessenen Blütezeit Sangerhausens ab den 1960er Jahren, als die Postmoderne weltweit ihre auch heute inspirierenden Spuren zu hinterlassen begann.“ Werde die Brücke wirklich abgerissen, verliere Sangerhausen einen Teil seines Charmes. „Das wäre genauso, als würde man die Schachthalde oder den Turm der Jacobikirche abtragen.“ Krug: Schon aus diesem Grunde verbiete sich das.