"Villa Kunterbunt" in Obersdorf "Villa Kunterbunt" in Obersdorf: Wie die Tiere den Bewohnern den Alltag erleichtern

Obersdorf - Max und Moritz gucken treu nach oben, den Kopf leicht seitlich geneigt, die Augen wach. Während sie geduldig das umherliegende Heu in ihren Mäulern zermalmen, beobachten die beiden Ziegenböcke jede Bewegung von Michael Domeyer. Bewegt er seinen Arm, bewegen sie ihre Köpfe.
Michael Domeyer wohnt bereits seit 16 Jahren in der Obersdorfer „Villa Kunterbunt“
Der 54-Jährige ist in der Behinderteneinrichtung „Villa Kunterbunt“ untergebracht, seit 16 Jahren schon. Und seit geraumer Zeit kümmert er sich nun um die beiden Ziegen und das Schaf Anton, welches derweil in aller Ruhe in der Ecke des Geheges nach frischem Heu sucht.
Allein im Landkreis Mansfeld-Südharz hat die Projekt 3 GmbH zehn Standorte, von denen die Villa Kunterbunt im Sangerhäuser Ortsteil Obersdorf einer ist.
Die anderen neun sind auf Beyernaumburg, Hainrode, Sangerhausen, Stolberg und Uftrungen verteilt.
Projekt 3 gibt es seit mehr als 20 Jahren. Die „Villa Kunterbunt“ hat im Jahr 1998 ihre Pforten in Obersdorf geöffnet.
Dort gibt es ein Wohnheim für Menschen mit geistiger Behinderung, die nicht werkstattfähig sind und eine Tagesförderstätte, in der die Personen morgens hinkommen und abends wieder nach Hause gehen. Die Tagespflege feierte vor kurzem ihr zehnjähriges Jubiläum.
Das Heu hat Domeyer erst wenige Stunden zuvor hingelegt, so wie jeden Morgen. „Das macht mir Spaß, da komme ich auf andere Gedanken“, sagt er. Das Sprechen fällt ihm nicht leicht, wenn er nicht redet, haften seine Augen an den Ziegen. „Wenn ich in ihrer Nähe bin, merken das die Ziegen sofort und kommen schon an, betteln um Essen. Dann hole ich meistens schnell trockenes Brot.“ Für ihn sei das Arbeiten hier keine Arbeit im engeren Sinne, sondern Freizeitvergnügen, sagt Ute Roßbach, die eine derjenigen ist, die den Hut hier auf hat - denn ohne eine Begleitperson darf Domeyer aus Sicherheitsgründen nicht ins Gehege.
„Herrlich wie die eine mich anschaut“, sagt Domeyer. „Sie hat so schöne Augen.“ Auch für die anderen rund 50 Bewohner der „Villa Kunterbunt“ in Obersdorf ist der Kontakt zu den Tieren wichtig. „Die Tiere sollen den Menschen die Angst nehmen und Freude bringen“, sagt Roßbach. „Und sie sollen durchaus auch positive Erinnerungen wecken. “ Denn, so sagt sie, „einige haben auch schon in der Vergangenheit, als sie noch zu Hause gewohnt haben, regelmäßig Kontakt zu Tieren gehabt.“ So ging es auch Domeyer, der als Kind auf einem Bauernhof bei seinen Eltern gelebt hat.
In der „Villa Kunterbunt“ werden geistig und körperlich behinderte Menschen betreut
In der „Villa Kunterbunt“ leben mehrfach körperlich und geistig behinderte Menschen, die in verschiedene Gruppen eingeteilt sind. „Eine Gruppe strebt sogar an, in betreutes Wohnen umzuziehen“, sagt Roßbach. Für Domeyer ist das keine Option - er fühlt sich wohl hier oben. „Ich kenne das schon, als es hier noch ganz anders aussah“, sagt er. Und nun sind ja ohnehin seine Ziegen und das Schaf hier.
„An manchen Tagen dürfen auch die anderen Bewohner die Tiere streicheln und füttern“, sagt Roßbach. Für alle sei dies ein besonderes Erlebnis. „Dann sind die Ziegen zahm wie Hunde und wir führen sie einfach so an der Leine über das Gelände.“ Aber auch die anderen Bewohner haben diese Abwechslung zu ihrem Alltag, die Domeyer hat. Sie schleifen, basteln oder helfen in der Küche. „Die, die in der Lage dazu sind, haben auch Aufgaben“, sagt Roßbach.
Für Domeyer zählen nur seine Ziegen, die sich nun eher mit sich selbst beschäftigen. Die Aufgabe sei eigentlich ganz machbar, meint er. „Außer, wenn sie abends in den Stall sollen“, sagt er und lacht. „Dann wollen sie nicht und ich muss mir Hilfe holen, um sie in den Stall zu drängen.“ Aber das kann Michael Domeyer verschmerzen, denn Hauptsache, er hat seine geliebten Ziegen in seiner Nähe. (mz)