Streuobstzentrum in Tilleda Streuobstzentrum in Tilleda: Von "Auralia" begeistert

Tilleda - Eigentlich will sich Werner Schuricht aus Jena langsam zurückziehen und das teils knifflige Bestimmen von Obstsorten anderen überlassen. Doch wird der 79-Jährige mehr denn je gebraucht, wie die diesjährige Veranstaltung im Tilledaer Streuobstzentrum nur allzu deutlich gezeigt hat. 470 Proben von Äpfeln und Birnen wurden dem promovierten Pomologen, so wird ein Obstbau-Fachmann bezeichnet, vorgelegt.
Schuricht schmunzelt, wenn die ihm gegenübersitzenden Gärtner oder Plantagenbesitzer sagen: „Na, dann komme ich nächstes Jahr wieder.“ Nur einmal antwortet er: „Du glaubst wohl, ich komme ewig?“ Aber wenn ihm eine seltene Apfelsorte gezeigt wird, vergisst er im Nu sein Alter und den langen Anfahrtsweg. Dann dreht und wendet er die Frucht in den Händen, tastet sich über die Bestimmungsmerkmale heran. Form, Farbe, Stil und Blüte… Manchmal nimmt er eine Kostprobe. Von „Auralia“ ist er begeistert. „Das ist ein Apfel, damit kann man Enkel dressieren“, sagt er schmunzelnd. „Die schmecken. Die holen sie selbst aus dem Keller.“
Der Landschafts- und Streuobstpflegeverein „Kyffhäusernordrand“ und das Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz luden anlässlich des Tages der Regionen zur Bestimmung von Obstsorten ins Streuobstzentrum Tilleda ein.
Insgesamt galt es über 470 Proben zu bestimmen. Darunter waren 39 Birnen in 13 Sorten und 435 Äpfel in 102 Sorten. Am häufigsten wurden 43 Mal der „Boskop“ und 26 Mal der „Rote Boskop“ bestimmt. Des Öfteren gab es auch den „Croncels“, „Kaiser Wilhelm“ und „Erwin Baur“, die „Goldparmäne“ und verschiedene Renetten-Arten.
Die Südharz- und Kyffhäuserregion entpuppt sich alljährlich als Genreserve für alte Obstsorten.
Seit zehn Jahren ist das Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz Partner der Obstsortenbestimmung. Mitarbeiter dokumentieren sämtliche Bestimmungen.
Die Ausstellung der Äpfel und Birnen ist bis zum Vergehen der Früchte - außer montags - im Streuobstzentrum in Tilleda zu besichtigen.
Der Informations– und der Unterhaltungswert seiner Kommentare sind für die Besucher gleichrangig. Einige Besucher bleiben deswegen auch nach der Bestimmung der eigenen Sorten im Raum, um noch etwas über andere Obstsorten zu erfahren. So berichtet Werner Schuricht, dass der in England gezüchtete „Grahams Jubiläumsapfel“ an das Thronjubiläum von Queen Victoria erinnert. Als ganz seltenes Exemplar bezeichnet er den „Galloway Pepping“, der aus Dietersdorf gebracht wurde, und die „Karmeliter Renette“. Letztere wurde bereits 1667 in Frankreich beschrieben. Jetzt wächst noch ein Baum davon bei Emseloh.
Werner Schuricht hört interessiert zu, als Klaus Meyer aus Bad Frankenhausen über den Lehrgarten in der Gartenanlage „Morgenrot“ erzählt. „Wir mussten uns entscheiden, ob wir einen ’Leergarten’ oder einen ’Lehrgarten’ machen“, sagte er. Inzwischen haben die Kleingärtner unter anderem 20 Apfelbäume angepflanzt, die er sicherheitshalber vom Fachmann noch einmal bestimmen lässt.
Um für die Bestimmungen fit zu bleiben, hegt und pflegt Werner Schuricht im eigenen Garten sogenannte Sortenbäume. „Außerdem kenne ich mich ganz gut aus und weiß, wo welche Bäume stehen. Da genügt ein Spaziergang und ich kann mir bei Bedarf die Sorten ansehen“, sagt er.
Nachwuchs fehlt
Von Jahr zu Jahr wird deutlicher, dass der Nachwuchs bei den Obstsortenbestimmern fehlt. Diesem Trend sollte ja eigentlich der 1991 gegründete Pomologenverein entgegensteuern. Aber Werner Schuricht weiß selbst, wie lange man braucht, bis aus dem Hobby eine Passion wird.
Schon als Student lagen ihm die alten Obstsorten am Herzen, wie er erzählt. Nahezu 40 Jahre lang verglich er mit erfahrenen Obstkennern Proben. „Wir haben uns in einem Raum der Deutschen Bücherei in Leipzig eingeschlossen und Äpfel probiert“, sagt er. „Wie oft lagen da in den Körben noch unbekannte Sorten!“
Auch in Tilleda kann er nicht alle vorgelegten Apfelsorten bestimmen, trotz langer Erfahrung, hinzugezogener Bücher und Geschmackstest. Aber irgendwann wird er das Rätsel der alten Bäume lösen. Vielleicht ja doch im nächsten Jahr. (mz)