Sangerhausen Sangerhausen: Tote Taube gibt Rätsel auf
SANGERHAUSEN/MZ. - Auf den ersten Blick war es eine tote Taube, die Walter Strauch eines Abends an seiner Garage in Sangerhausen Süd entdeckte. Manchmal ist es aber auch erst der zweite Blick, der Besonderheiten erkennen lässt. So auch bei Strauch. "Die Taube trug an beiden Füßen Ringe", erzählte er. Die Ringe ließen ihn schon vermuten, dass es sich um eine Brieftaube handeln könnte.
Doch was der Sangerhäuser dann auf einem Ring las, verdutzte ihn. "PL" , das Landeszeichen für Polen und ein Telefonhörer als Hinweis, dass die vielen Zahlen auf dem Ring eine Telefonnummer sind. Natürlich war Walter Strauch damit klar, die Taube kommt aus Polen - doch wie kommt das Tier nach Sangerhausen? "Ich fragte einen Bekannten, der mal Brieftauben hatte", so Strauch. Der habe ihm gesagt, solche Fälle gebe es oft. Die Brieftaube habe sich verflogen und sei dann tot vom Himmel gefallen. Doch Strauch interessierte auch, ob er die polnische Telefonnummer anrufen und dem Besitzer Bescheid sagen soll, dass das Tier verendet ist. "Mein Bekannter meinte, das könne teuer werden. Da habe ich es gelassen."
Die Antworten des Freundes befriedigten den Tauben-Finder nicht wirklich und er wandte sich an die MZ. Nachfragt bei Brieftaubenzüchter und Flugleiter der Reisevereinigung Mansfeld-Südharz Richard Rennecke, geriet der erst einmal ins Staunen. "Dass polnische Brieftauben Ringe mit Telefonnummern haben, war bisher nicht der Fall", sagte der Brieftauben-Experte. Für deutsche Züchter sei es Pflicht, die Tauben mit Telefonnummern zu versehen.
Den zweiten Ring konnte Rennecke auch identifizieren. Das sei der "Personalausweis" der Taube. Wenn Tauben etwa zehn Tage alt sind, bekommen sie diesen Ring und behalten ihn für ihr Leben lang. Er las von den Zahlen darauf ab: "Im Jahr 2010 wurde die Taube geboren. Sie kommt aus Polen, aus der Region 084, wo auch immer das ist und sie hat die Registrierungsnummer 6628."
Und wie teilt man nun dem polnischen Züchter mit, dass seine Taube tot ist? "Ihn anzurufen ist eine Möglichkeit, aber ich kann kein polnisch. Darum werde ich sie beim Verband Deutscher Brieftaubenzüchter melden", sagte Rennecke. Er übernahm das auch gleich - telefonisch gab er die "Personaldaten" der Taube durch. Und beim deutschen Verband sagte man ihm, dass diese Taube an den polnischen Verband gemeldet wird. "Zudem werden die Daten in der Zeitschrift 'Brieftaube', einer Fachzeitschrift für Züchter, abgedruckt. Ob tot oder lebendig, werden alle, die beim deutschen Verband als gefunden gemeldet wurden, dort abgedruckt", erzählte Rennecke. Die Chancen, dass der polnische Züchter vom Tod erfährt, stehen also ganz gut.
Aber es gibt weitere Fragen. An was könnte die polnische Taube gestorben sein und warum hier in Deutschland? Richard Rennecke hatte eine Vermutung: "In diesem Jahr sind schon dreimal polnische Brieftauben - jeweils etwa 5 000 Stück - vom Sangerhäuser Gewerbepark, am Hagebaumarkt, aufgelassen wurden. Sie sollten zurück nach Polen fliegen. Daher könnte sie stammen", sagte er. Muss aber nicht: Sie könnte auch ganz woanders gestartet sein.
Dass die Taube gesundheitliche Vorschäden hatte, glaubte Rennecke nicht. Denn kranke Tauben werden von Brieftaubenzüchtern nicht eingesetzt. "Es kann sein, dass sie vor irgendetwas davor geflogen ist und sich dabei das Genick gebrochen hat. Das sieht man ja nicht", meinte Rennecke. Ansonsten seien Hindernisse, wie etwa Strommasten, aber auch Unwetter oder Greifvögel als natürliche Feinde, Gründe, dass Brieftauben nicht zum Züchter zurückkommen. Das Jahr über würden bei den Brieftaubenzüchtern gemessen an der Zahl ihrer Tauben aber keine erheblichen Verluste entstehen. "Zehn Prozent sind es etwa pro Jahr", so Rennecke.
Und dass dem polnischen Züchter ein immenser finanzieller Schaden durch den Verlust der Brieftaube entstanden sein könnte, glaubte Rennecke nicht. 20 bis 100 Euro ist eine Brieftaube etwa wert, je nachdem wie viele Preise sie schon gewonnen hat.