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"Wir können keine Garantie abgeben"  Leonora Messing aus Sangerhausen biem IS: Was Vater Maik über eine Rückkehr nach Deutschland sagt - "Wir können keine Garantie abgeben"

Aktualisiert: 21.01.2022, 13:27
Maik Messing spricht im MZ-Interview über sein Verhältnis zu Leonora und mögliche Probleme bei der Rückkehr nach Deutschland.
Maik Messing spricht im MZ-Interview über sein Verhältnis zu Leonora und mögliche Probleme bei der Rückkehr nach Deutschland. Schumann

Sangerhausen - Vor viereinhalb Jahren schloss sich Maik Messings Tochter Leonora dem Islamischen Staat (IS) an. Nun hat Messing ein Buch veröffentlicht. Im Interview mit Joel Stubert spricht er über eine erhoffte Rückkehr der Tochter, die Kommunikation und die Rolle des deutschen Staates.

Maik Messing, Ihre Tochter Leonora hat mit ihrer Ausreise nach Syrien Ihr Leben auf den Kopf gestellt und Ihnen unvorstellbare Sorgen zugemutet. Ist Ihre Liebe zu ihr seither größer oder kleiner?
Maik Messing (47): Es gab nur ganz wenige Momente, in denen wir gesagt haben: Das übersteigt unsere Kräfte. Die Liebe besteht nach wie vor, allerdings verhalten. Wir wollen sie schon zurück haben, aber das zerstörte Vertrauen wird sicherlich eine Rolle spielen. Ich sage immer: Vergeben ja, aber nicht vergessen.

Sind Sie wütend auf sie?
Messing: Ich weiß noch nicht, ob ich sie beim ersten Wiedersehen umarme oder nehme und schüttele. Aber das wird emotional werden, denke ich.

Noch lebt Leonora im Flüchtlingslager in Syrien, die Bundesregierung hat zu entscheiden, ob sie wieder zurück darf. Wie bereiten Sie sich auf ein eventuelles Wiedersehen vor?
Messing: Wir müssen uns alle darauf vorbereiten, dass es nicht leicht wird. Mittlerweile versteht Leonora, dass die Stimmung hier eher gegen sie ist. Um uns und die Nachbarn zu schützen, haben wir recht schnell festgelegt, dass sie nicht nach Breitenbach kommt.

Vorbereitungen für ein normales Leben

Anfangen muss allerdings sie selbst - mit Selbstreflexion. Und sie ist dabei zu sagen, es war nicht nur dumm, es war extrem dumm. Aber im Moment hat sie andere Sorgen. Essen, Trinken, Windeln ranzukriegen. Der Winter steht dort auch vor der Tür, viel Regen ist gefallen. Sie hat derzeit nicht so viel Zeit, darüber nachzudenken, was in einem Jahr oder so sein wird.

Wir wollen es so weit wie möglich vorbereiten, dass sie einen halbwegs normalen Start hier ins Leben haben kann, vor allem für die Kinder. Ob die dann islamisch erzogen werden oder nicht, ist erst mal egal.

Wie sind die Reaktionen Ihnen gegenüber?
Messing: Man bekommt ja in den sozialen Medien tüchtig Dresche. Meistens unter Pseudonymen. Ich kann das ein Stück weit verstehen. Wenn ich nicht selbst in dieser Situation stecken würde, wüsste ich auch nicht, wie ich darüber denken würde.

Manche haben Sorge, dass von Leonora in Deutschland noch eine Gefahr ausgeht...
Messing: Es soll klar sein, dass hier nicht Eltern blind vor Liebe den dreischwänzigen Teufel ins Land holen wollen. Ich hoffe, dass die Leute ein Stück weit nachvollziehen können, dass wir sie zurückholen wollen.

Wir können keine Garantie abgeben und ihr nicht in den Kopf gucken, aber wir tun alles, damit vermieden wird, dass von Leonora in irgendeiner Form eine Gefahr ausgeht. Und wenn sie sich noch nicht sicher sind, dann sollen sie sie lieber in U-Haft stecken.

Wie läuft die Kommunikation?
Messing: Wir haben im Moment zwei, dreimal in der Woche Kontakt per Whatsapp. Die Verbindung ist mal gut, mal weniger gut. Manchmal sieht man „Zuletzt online 7 Uhr“ und die Nachricht kommt 14 Uhr.

Wie findet man den Draht zu seiner Tochter, die im IS lebt?
Messing: Wir haben immer versucht, das zu entkrampfen, ihr Lieblingsessen zu fotografieren und hinzuschicken oder mal ein Schnitzel. Wir reden hier über den IS, der bitterböse Taten begangen hat und zu allem fähig ist, aber wir haben versucht, das auszublenden und uns nur auf unser Kind zu konzentrieren und das hat in weiten Teilen gut funktioniert.

Haben Sie ihr eigentlich schon die Meinung gesagt, was Sie von ihrer Flucht halten?
Messing:  Na klar hätte ich sie gern bei WhatsApp gefragt: Warum hast du nicht mal fünf Minuten nachgedacht? Aber das Ziel war, Leo zurückzuholen, und dafür brauchte man Kommunikation. Wir haben keine Vorwürfe erhoben, das hätte den Kontakt gefährdet. Wir haben sie als Teil der Familie behandelt.

Buch soll Sichtweise der Menschen ändern

In Film und Buch sagen Sie auch, dass Sie enttäuscht vom deutschen Staat sind. Warum?
Messing: Der Staat hätte schon was verhindern können: Wir reden von einer gezielten Ausreise von Leonora. Ihr zukünftiger Ehemann stand damals unter permanenter Beobachtung. Es ist aber niemandem aufgefallen, dass sich eine 14-, 15-Jährige mit einem schrieb, der nach Syrien ausgereist ist. Die haben sich ja schon vorher geschrieben.

Bedauern Sie, dass das Ganze in Sangerhausen mit den bedruckten T-Shirts und der MZ-Geschichte herauskam?
Messing: Das Gute war, dann war es durch. Dann hat man es hinter sich, auch wenn in Breitenbach teilweise viele Journalisten umherliefen. Aber nach zehn Tagen wurde es dann etwas ruhiger.

Viele wundern sich, warum jetzt das Buch herauskommt.
Messing: Das Buch zu schreiben und darüber zu sprechen ist befreiend. Wir haben das Ziel, die Sichtweise der Menschen ein klein wenig zu ändern. Sicherlich hat sie Mist gebaut, aber nach der Kommunikation, die wir haben, ist sie dem IS nicht mehr ergeben. Dass sie am Islam festhält, kann man nachvollziehen, denn das ist ja das einzige, das ihr geblieben ist. (mz)