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Knöllchenstreit in Sangerhausen Knöllchenstreit in Sangerhausen: ADAC und Stadtrat kritisieren Ordnungsamt

Von Frank Schedwill 03.12.2018, 12:27
Christiane Rüdiger und ihr Schreiben vom Amt.
Christiane Rüdiger und ihr Schreiben vom Amt. Maik Schumann

Sangerhausen - Der Sangerhäuser Knöllchenstreit bekommt eine neue Dimension: Denn mittlerweile kritisieren auch der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) und Stadträte massiv die Haltung des Ordnungsamtes.

Das hatte vor wenigen Tagen der 65-jährigen Rentnerin Christiane Rüdiger einen Strafzettel verpasst, weil sie auf dem Parkplatz „Innenstadt Nord“ ihre Parkuhr eine halbe Stunde zu früh gestellt hatte.

Obwohl die Frau sich selbst um eine halbe Stunde Parkzeit brachte, musste sie zehn Euro zahlen. Nach der MZ hatten auch Fernsehsender über den Fall berichtet.

ADAC-Sprecher Johannes Boos sagte am Freitagnachmittag, es gebe zwar das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofes aus dem Jahr 2012.

Demnach muss auf Parkplätzen, auf denen die Parkzeit nur zu bestimmten Uhrzeiten beschränkt ist, die Parkscheibe auf den Beginn der Kurzparkzeit gestellt werden, wenn man zuvor ankomme.

Parkuhr hatte niemanden geschadet

„Wir hätten uns aber eine praxisnähere und pragmatischere Auslegung gewünscht.“ Zumal im konkreten Sangerhäuser Fall niemandem ein Schaden entstanden sei.

Die Frau habe ja nicht betrügen wollen. „Hier muss man nicht päpstlicher sein als der Papst“, sagte der ADAC-Sprecher.

Klaus Peche, Chef der BIS/FBM-Fraktion im Stadtrat, sagte: „Mit seiner Haltung vergrault das Ordnungsamt die Bürger in Größenordnungen. Ich finde es engstirnig und kleinkariert, wie die Mitarbeiter der Stadt reagiert haben.“

Sie hätten damit dem Image von Sangerhausen massiv geschadet, so Peche. Das müsse ausgewertet werden. Er finde auch nicht, dass der Fall, wie von der Stadtverwaltung behauptet, abgeschlossen sei. Peche will das Thema nun im nächsten Hauptausschuss ansprechen.

Eine Katastrophe für die Außendarstellung Sangerhausens

Ebenso äußerte sich Holger Hüttel (Linke): „Hier ist meiner Meinung nach zu extrem reagiert worden. Das Ordnungsamt hat einen Ermessensspielraum, der sollte genutzt werden.“ Hüttel fügte hinzu: Für die Außendarstellung der Stadt sei das Vorgehen der Stadtverwaltung „eigentlich eine Katastrophe“.

Auch Hüttel will, dass in den Gremien des Rats über die Entscheidung noch einmal gesprochen wird. Ebenso äußerte sich Alexander Dobert (CDU), sachkundiger Einwohner im Stadtrat.

Er appellierte in einem Schreiben an Mario Bößenroth, Fachdienstleiter Ordnungsangelegenheiten, das Verfahren gegen die Rentnerin einzustellen.

Die Frau habe sich nur selbst einen Schaden zugefügt und „durch das Stellen der Parkuhr auch keinem anderen Verkehrsteilnehmer einen Parkplatz vorenthalten“.

Andere Leser führten juristische Gründe gegen das Ordnungsamt an. So habe die Stadt beispielsweise mit ihrer Entscheidung einen Runderlass des Landesinnenministeriums aus dem Jahr 1995 missachtet.

Darin heißt es: „Bei der Entscheidung, ob und wie Zuwiderhandlungen im ruhenden Verkehr verfolgt werden, sind sämtliche Umstände des Falles zu berücksichtigen, so die Bedeutung und Auswirkung der Tat sowie der Grad der Vorwerfbarkeit...“

Geringfügige Verstöße müssen nicht bestraft werden

Auch das Oberlandesgericht Düsseldorf habe bereits 1993 entschieden, dass geringfügige Formalverstöße, bei denen keine Behinderung anderer eingetreten ist, nicht verfolgt werden sollten. Sonst bestehe die Gefahr, dass die Verfolgungsmaßnahmen dem Bürger nicht mehr einsichtig erscheinen.

Die Stadt will sich zum eigentlichen Sachverhalt nicht mehr äußern. Sie hatte bisher argumentiert: Wer öffentliche Parkplätze nutze, müsse sich vorher erkundigen, welche Bedingungen gelten.

Und: Wenn die Parkscheiben-Pflicht erst um 8 Uhr beginnt und man vorher ankommt, dann müsse man die Scheibe eben auf 8 Uhr stellen und dabei auf Urteile der Gerichte verwiesen.

In der Stadt kursieren Gerüchte, die Mitarbeiter des Ordnungsamtes müssten eine bestimmte Anzahl Knöllchen bringen oder erhielten eine Provision pro Strafzettel. Nur so sei deren Vorgehen zu erklären.

Oberbürgermeister Sven Strauß (SPD) wies das als Quatsch zurück. (mz)