Katastrophenwinter 1978/79 Katastrophenwinter 1978/79 : So erlebten die Menschen in der Region die eisige Kälte

Sangerhausen - Es müssen dramatische Tage gewesen sein Anfang Januar vor 40 Jahren im damaligen Kreis Sangerhausen. Innerhalb weniger Stunden fielen damals die Temperaturen von milden fünf Grad im Plusbereich auf minus 20 Grad Celsius. Heftige Schneestürme fegten übers Land. Besonders dramatisch war die Situation im Norden. Aber insgesamt legte jener Winter das Leben in der DDR lahm. Zeugnis davon, wie es damals im Kreis Sangerhausen aussah, legen heute die Akten ab, die im Kreisarchiv eingelagert sind.
Archivar rekonstruiert die Ereignisse
Telexmeldungen, Protokolle von Telefonaten und von Krisensitzungen hat Archivar Ulrich aus jener Zeit gefunden. Sie sind im Archiv in dicken Aktenordnern zusammengefasst. Anhand dieser Dokumente lässt sich noch heute ein recht plastisches Bild von diesen Januartagen zeichnen. Zwei handschriftliche Notizen finden sich darin. Jemand hat darauf die aktuelle Meldung der Wetterdienststelle Leipzig.
Bis zu Minus 15 Grad
Tagestemperaturen zwischen minus acht bis höchsten minus vier Grad Celsius und Nachttemperaturen von bis zu Minus 15 Grad Celsius kündigten die Meteorologen damals an. 20 bis 30 Zentimeter Neuschnee hatte es gegeben.
Zu einer Sondersitzung wurde demnach der Rat des Kreises bereits am Neujahrstag zusammengetrommelt. Vorsitzender des Rates des Kreises war damals Lothar Wittich, der das Amt noch bis 1990 inne hatte. Neujahr fiel damals auf einen Montag. Gemeinsam mit Vertretern des Kraftverkehrs, des Volkspolizei-Kreisamtes, des Kohlehandels und auch der Staatssicherheit wurde erst einmal festgestellt, wie denn überhaupt die Lage im Kreis zu bewerten sei.
Eisenbahn und Strom fällt aus
Direkte Auswirkungen des Wintereinbruchs hatten die Einwohner des Kreises bereits zu spüren bekommen: Am Silvestertag war der Eisenbahnverkehr zum Erliegen gekommen. 32 Soldaten waren dann zur Deutschen Reichsbahn abkommandiert, um dabei zu helfen, vor allem die Hauptgleise befahrbar zu halten.
Auch gab es sogenannte Flächenabschaltungen, sprich ganze Orte oder Ortsteile wurden jeweils für Stunden nicht mehr mit Strom versorgt. Es gab einfach nicht genügend Braunkohle, um die Kraftwerke am Laufen zu halten. Und durch den Wintereinbruch wurde nicht mehr genügend Kohle gefördert, um die Kraftwerke zu füttern. Im Kreis Sangerhausen wurde ein „Operativstab Kohle“ gegründet, der darüber zu befinden hatte, welcher Betrieb und welche Einrichtung und auch welcher Privathaushalt wann wie viel Braunkohlebriketts erhielt.
Brot wird knapp
In einem Fernschreiben wird am 2. Januar 1979 von den Folgen der Flächenabschaltungen berichtet: Darin heißt es, dass 21 von 44 Backwarenbetrieben nicht arbeiten konnten und deshalb 3.780 Brote fehlten. Die Konsumbäckerei wurde vom Rat des Kreises dazu angehalten, die Produktion von Brötchen zu drosseln und dafür mehr Brote zu backen.
Am 3. Januar 1979 trifft sich der Rat des Kreises erneut zu einer außerordentlichen Sitzung. Mittlerweile haben Schnee und Kalte unmittelbare Auswirkungen unter anderem in der Landwirtschaft gezeigt. Insgesamt wurden nach dem 10. Januar 1979 Verluste von 884 Ferkeln, 293 Läufern, 17 Schweinen, 54 Lämmern, 29 Kälbern, 32 Schafen und 300 Küken aufgelistet.
Betriebsschließung wegen fehlender Kohle
Ab dem 4. Januar konnten dann einige Betriebe nicht mehr produzieren, weil sie nicht mehr genügend Kohle hatten oder nicht mehr mit Wärme versorgt wurden. Aufgeführt wurden das Pla Pianoforte, Kindermoden, das Kraftfahrzeuginstandsetzungswerk in Roßla, die Brauerei, die Spirituosenfabrik, Vakuum und das Messgerätewerk. Nachdem Tauwetter einsetzte, wurden in den Betrieben Sonderschichten gefahren, um die Produktionsausfälle zu kompensieren.
Ebenfalls im Archiv zu finden sind Schlussfolgerungen, die man damals aus dem Katastrophenwinter zog. Weiterbildung und regelmäßiges Havarietraining standen von da an auf der Tagesordnung von Mitarbeitern des Rates des Kreises sowie der Städte und Gemeinden.
Brennholz für den Notfall
Die Forstbetriebe in Roßla, Wippra und Ziegelroda wurden zu einer Vorratshaltung von Brennholz aufgefordert. Auch sollten sich künftig einige zentrale Verkaufsstellen mit lagerfähigen Nahrungsmitteln bevorraten. Das betraf die Kaufhallen in Sangerhausen, Kelbra, Roßla und Blankenheim. Auch sollten ab jenem Zeitpunkt bis zum 30. September eines Jahres 80 Prozent der Haushalte mit Braunkohle beliefert worden sein.
Rettungsfahrzeuge sprungen nicht an
Obwohl es in den Protokollen heißt, dass die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung immer abgesichert gewesen sein soll, sprich das Krankenhaus hatte ohne Unterbrechung Strom und Wärme und es gab auch genügend Arzneimittel, so stellte sich doch herauf, dass der Fuhrpark des Krankentransports mit Problemen zu kämpfen hatte. Die B1000, die damals die Krankenwagen waren, hatten keine neuen Akkus und mussten deshalb angeschleppt werden, ehe sie zum Einsatz starten konnten. Auch habe das Allradfahrzeug überhaupt keine funktionstüchtige Batterie. (mz)

