Umfangreiche Dokumentation Flechten im Südharz erforscht - Was daran so faszinierend ist
Ein neuer Band in der Schriftenreihe des Biosphärenreservats Karstlandschaft Südharz widmet sich den Flechten. Knapp 200 Seiten umfasst das Werk über die bizarren Wesen.

Roßla/MZ. - Sie wachsen auf Steinen, Mauern, Halden, auf dem blanken Boden, an Baumstämmen, Zweigen, Totholz oder Zäunen: Flechten sind genügsame, sehr unscheinbare Lebenskünstler, die sich mit einfachsten Standorten begnügen, teils aber auch extreme Bedingungen aushalten. Für ungeübte Augen kaum sichtbar, entfalten sie erst unter der Lupe oder dem Mikroskop ihre wahre Pracht.
Jetzt haben drei Experten eine umfangreiche Dokumentation vorgelegt: die erste geschlossene Inventarisierung der Flechtenvorkommen im Biosphärenreservat und der Südharz-Region.
406 Flechten im Südharz nachgewiesen
Autoren sind die Botaniker Hans-Ulrich Kison aus Quedlinburg und Armin Hoch von der Reservatsverwaltung sowie Wilfried Störmer aus Goslar, der eine Vielzahl von Fotos beigetragen hat.
Zu dritt haben sie das knapp 200 Seiten umfassende Werk „Die Flechten im Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz“, in das auch vorherige Beobachtungs- und Forschungsergebnisse eingeflossen sind, im Rahmen einer Tagung in Roßla vorgestellt.
Während Wildkatzen, Fledermäuse oder wild vorkommende Orchideenarten zu den „prominenten“ geschützten Bewohnern der Karstregion zählen, sind Flechten viel weniger bekannt: symbiotische Lebensgemeinschaften aus Pilzen und Algen oder Cyanobakterien. Wie Kison sagt, sind bisher 406 Flechten im Südharz nachgewiesen worden, hinzu kämen 34 flechtenbewohnende Pilze.

Viele Arten auf der Roten Liste
„Von insgesamt 440 Arten im Südharz stehen 258 auf der Roten Liste.“ Davon seien 34 ausgestorben oder verschollen. Da Kison und Störmer schon 2017 ein ähnliches Werk für den Nationalpark Harz vorgelegt haben, lassen sich beide Regionen hinsichtlich der Vorkommen vergleichen: Im Nationalpark, sagt Kison, kämen insgesamt 662 Flechten und flechtenbewohnende Pilze vor, von denen 320 und somit knapp die Hälfte auf der Roten Liste stehen.
Flechten trügen übrigens erst seit noch gar nicht so langer Zeit außer den lateinischen auch deutsche Namen, erzählt Hoch. Kison nennt ein paar Beispiele und Fundorte. Der seltene Schwarze Tintenfleck sei zwischen Questenberg und Hainrode auf Kalkgestein zu finden; er falle auf durch „das schwärzeste Schwarz, das Flechten zustande bringen“.
Die Sternenhimmelflechte komme zum Beispiel auf einer Streuobstwiese bei Dittichenrode vor. Deutlich häufiger sei hingegen die Gewöhnliche Mauerflechte zu sehen; sie wurde als Flechte des Jahres 2021 auserkoren und wird umgangssprachlich als Kaugummiflechte bezeichnet.
Flechten reagieren auf Umweltbedingungen
Für sämtliche Arten sind im Band die bisher bekannten Fundorte im Südharz aufgelistet. Von der Gewöhnlichen Feuerflechte, sagt Kison, sei nur ein Exemplar im Biosphärenreservat entdeckt worden. „Sie ist auch im Nordharz extrem selten geworden.“
Dagegen kämen nun die Krause Punktschüsselflechte oder die Eingerollte Grauschüsselflechte im Südharz vor: „Das sind Arten, die von Süden hier hereinkommen.“ Somit ließen sich klimatische Veränderungen mit Hilfe von Flechten beobachten, sagt Kison; allerdings sei er vorsichtig damit, sich nur auf eine Ursache festzulegen.
Veränderungen des Flechtenbestands zeigten Tendenzen an, etwa zur Luftqualität, dem Gehalt von Schwefeldioxid und Stickstoffeintrag, zur Temperatur und Sonneneinstrahlung. Die dauerhafte Beobachtung repräsentativer Lebensräume im Biosphärenreservat werde weitere Erkenntnisse liefern, sind die Experten sicher.