1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Sangerhausen
  6. >
  7. Der Stau-Verzauberer: Der Stau-Verzauberer: Christian Pommnitz spielt am Flügel auf der Autobahn

Der Stau-Verzauberer Der Stau-Verzauberer: Christian Pommnitz spielt am Flügel auf der Autobahn

Von Grit Pommer 14.06.2017, 05:00
Christian Pommnitz aus Sangerhausen ist leidenschaftlicher Straßenmusiker. Berühmt wurde er jetzt mit einem Auftritt mitten im Stau auf der Autobahn.
Christian Pommnitz aus Sangerhausen ist leidenschaftlicher Straßenmusiker. Berühmt wurde er jetzt mit einem Auftritt mitten im Stau auf der Autobahn. Maik Schumann

Sangerhausen - Unfall im Tunnel, Megastau auf der Autobahn, die Wagen stehen Stoßstange an Stoßtange, kein Mensch weiß, wie lange das hier jetzt dauern wird. Und dann sitzt da ein junger Mann am Flügel, das schneeweiße Hemd lässig aufgekrempelt, und spielt einfach drauf los. Locker und doch mit Leidenschaft. Let’s spend the Night together von den Rolling Stones. „Egal, wie lang es dauert“, ruft er und lacht.

Und auf der Autobahn, an einem Samstagabend mitten im Stau, passiert etwas Wunderbares. Statt genervt auf die Uhr zu schauen, lehnen die Leute entspannt an der Leitplanke, genießen die laue Abendstunde und das Gefühl, einen ganz besonderen Moment zu erleben.

Passiert ist das Ganze jetzt auf der A 71 in Südthüringen. Das Video, das der junge Mann am Klavier noch am gleichen Abend auf seiner Facebook-Seite hochlud, wurde tausendfach geteilt und machte ihn deutschlandweit bekannt.

Dabei hat Christian Pommnitz nichts anderes getan, als er sonst auch macht: Straßenmusik. Mit seinem kleinen, mobilen Flügel ist der Sangerhäuser landauf, landab in den Fußgängerzonen unterwegs und spielt. Klassik, Chansons, Pop, Rock - alles.

Wenn er nicht gerade für eine Veranstaltung gebucht wird. An jenem Abend auf der A 71 ist Pommnitz auf dem Rückweg von einer Hochzeit auf Schloss  Breitungen. Unmittelbar vor dem Rennsteigtunnel kommt plötzlich der Verkehr ins Stocken. Die Schranken vor dem Tunnel sind geschlossen, Warnleuchten blinken. In der Oströhre hat es einen Unfall gegeben, jetzt ist erst mal alles dicht.

„Ich habe ungefähr zehn Minuten im Auto gesessen und zugesehen, wie die anderen Leute ausstiegen und keiner so richtig wusste, wie es jetzt weitergeht“, erzählt Pommnitz. Und dann hat er sich gesagt: Nee, es ist so schönes Wetter, da musst du was draus machen.

Also raus aus dem Transporter, die Hintertüren aufgeklappt, den kleinen Flügel rausgerollt und ran an die Tasten.

Christian Pommnitz, 32, ist im thüringischen Voigtstedt aufgewachsen und wohnt inzwischen in Sangerhausen. Dort hat er an der Kreismusikschule auch Klavierspielen gelernt. Ein Jahr fehlte ihm an der Oberstufenprüfung, aber er hatte keine Lust mehr auf Unterricht, nur noch Lust auf Musik.

Neben seinem Lehramts-Studium an der Uni Marburg zieht er seit Jahren als Straßenmusiker durch  Deutschland oder lässt sich für Veranstaltungen engagieren. Im Video von seinem spontanen Stau-Auftritt auf der A 71 spielt er „Let’s spend the Night together“ von den Stones und „The Rose“ von Bette Midler.

Hatte er keine Angst, dass es Stress geben könnte, wenn es vorne plötzlich weiter geht und er mit seinem Flügel noch auf der Straße steht? Nö. „Wir waren ja fast ganz vorn im Stau und konnten den Tunneleingang sehen“, erzählt Pommnitz. Aus Erfahrung wusste er, dass es eine Lautsprecherdurchsage geben würde, sobald der Tunnel wieder freigegeben wird. Und sein kleiner Flügel, der ist in zwei Minuten verladen.

Open-Air-Konzert auf der Autobahn: „Kann man den für die A 3 buchen?“

Also sitzt Christian Pommnitz auf der A 71 und spielt und spielt. Eine gute halbe Stunde lang. Immer mehr Menschen kommen im Stau nach vorn gelaufen, um das außergewöhnliche Open-Air-Konzert mitzuerleben. Pommnitz bittet einen anderen Autofahrer, von dem er sich schon das Ladekabel ausgeborgt hat, die Szene mit seinem Handy zu filmen.

So erfahren später Hunderttausende im Netz von dem Pianisten auf der Autobahn. Unzählige Kommentare bestätigen dem 32-Jährigen, wie cool seine Aktion war. „Da fahre ich mal einen besch... Tag nicht da lang und verpasse sowas“, heißt es zum Beispiel. Oder: „Kann man den für die A 3 buchen?“ Oder: „Da würde ich Stunden im Stau aushalten.“

Auch die Rettungskräfte kommen später zu Pommnitz und bedanken sich, dass er die Situation so schön entspannt hat. Und sie bedauern es ein bisschen, dass sie selbst nicht zuhören konnten.
Dabei war es gar nicht das erste Mal, dass der Sangerhäuser direkt neben der Leitplanke aufspielte. Vor Jahren, auf der A 38 bei Göttingen, hat er auch sein Klavier rausgerollt und einfach losgespielt. „Ich weiß gar nicht, ob das überhaupt erlaubt ist“, meint er vorsichtig. Auf jeden Fall hat er damals wie jetzt darauf geachtet, dass eine Rettungsgasse frei bleibt.

Und nun? Gibt es massenhaft Konzertanfragen?

„Verstärkte Nachfragen gibt es eigentlich immer, wenn Christian irgendwo in der Fußgängerzone gespielt hat“, sagt Mathias Skrypek. Seine Sangerhäuser Agentur „zart & zornig“ vermittelt den Hobbymusiker. Interessenten muss er zurzeit aber meist enttäuschen: Der Pianist ist für diesen Sommer so gut wie ausgebucht.

Immerhin ist Pommnitz ja auch kein hauptberuflicher Musiker, sondern eigentlich Student. An der Uni Marburg studiert er Geografie und Sport auf Gymnasial-Lehramt und finanziert sich das Ganze mit der Musik. Wobei es immer unwahrscheinlicher wird, dass er später wirklich mal als Lehrer arbeiten wird. „Ich lebe eigentlich für die Musik“, sagt er. Und wer ihn am Flügel erlebt, nimmt ihm das  ab.

Christian Pommnitz aus Sangerhausen macht Straßenmusik - im wahrsten Sinne des Wortes

Als das Video von der A 71 im Netz kursiert, klicken es viele auch deshalb an, weil ihnen der sympathische Typ am Flügel irgendwie bekannt vorkommt. Pommnitz’ Auftritte in den Fußgängerzonen bleiben den Leuten im Gedächtnis. Und er? Genießt es, unter freiem Himmel zu spielen und die Reaktionen der Menschen sofort zu spüren. „Es gibt so wunderschöne Städte in Deutschland“, schwärmt Pommnitz. In Quedlinburg und Wernigerode spielt er sehr gern, in Warnemünde und Rostock ebenso. Auch Bayreuth, Coburg und Celle haben tolle Fußgängerzonen, zählt er auf.

Nicht überall darf Pommnitz sich  einfach so an den Flügel setzen. In manchen Städten muss er erst eine Genehmigung beantragen, mitunter sogar eine kleine Gebühr zahlen. Und manchmal wird es sogar dramatisch: In Wittenberg klaute jemand sein Körbchen mit dem Klingelgeld, es gab eine Verfolgungsjagd und später eine Gerichtsverhandlung.

Seine mobilen Auftritte hat Christian Pommnitz früher mit einem Klavier bestritten. Das war irgendwann kaputtgespielt. Seit Oktober ist er nun mit dem kleinen Flügel unterwegs, der problemlos in den Laderaum seines Transporters passt. „Das ist ein Stutzflügel, die kleinste Größe, die es überhaupt gibt. Der ist fast 70 Jahre alt“, erzählt der Musiker. Entdeckt hat er ihn im Sangerhäuser Klavierhaus Rülke im Lager, da war das Instrument ziemlich ramponiert. Pommnitz aber war begeistert und ließ ihn komplett aufarbeiten.

Mobil wurde der Flügel dank der „König’s Schmiede“ in Sangerhausen. Zusammen mit  Chef Bernd Feuchte hat Christian Pommnitz wochenlang getüftelt und probiert, bis alles passte. Denn sein Instrument brauchte  nicht nur Rollen unter den Füßen, sondern auch einen fest installierten Anbau, auf den Pommnitz seinen Hocker stellen kann.

Dass sein Autobahnauftritt im Netz so durch die Decke ging, nimmt der Musiker erfreut, aber gelassen zur Kenntnis. „Ja, das hat ganz schön Wellen geschlagen“, sagt er. Und er freut sich über die ausnahmslos positiven Kommentare, die drunter geschrieben wurden. Wenn es schwierig wird, setz dich ans Klavier und mach Musik - dieses einfache Rezept hat für ihn schon oft funktioniert. Nicht nur auf der Autobahn. (mz)

Pianist Christian Pommnitz hat sein Klavier im Auto.
Pianist Christian Pommnitz hat sein Klavier im Auto.
Maik Schumann
Christian Pommnitz sitz an seinem mobilen Flügel und musiziert kurzerhand auf der Autobahn.
Christian Pommnitz sitz an seinem mobilen Flügel und musiziert kurzerhand auf der Autobahn.
Screenshot/Video