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Chor in Sangerhausen Chor in Sangerhausen: Zuwachs für zweite Stimme

Von Helga Koch 02.12.2013, 19:18
Marianne Karl, langjährige Leiterin des Chores der Volkssolidarität, freute sich an ihrem gestrigen 85. Geburtstag über ein Ständchen.
Marianne Karl, langjährige Leiterin des Chores der Volkssolidarität, freute sich an ihrem gestrigen 85. Geburtstag über ein Ständchen. Maik Schumann Lizenz

Sangerhausen/MZ - „Den Sekt, den spendier’ ich“, ruft Marianne Karl ihren Chorfrauen zu. Das lässt sie sich nicht nehmen an ihrem 85. Geburtstag, nachdem ihr der Chor der Volkssolidarität Sangerhausen mit dem „Jubilate“ von Bogniarski ein Ständchen gesungen hat. Und sie übergibt offiziell den „Taktstock“ an Nachfolger Werner Thamm. Am Montag ist die Jubilarin aus ihrer aktiven Tätigkeit als Chorleiterin verabschiedet worden.

Obwohl - ein Leben ohne Chor, das will sich Frau Karl gar nicht vorstellen. Schließlich hat sie ihn 38 Jahre lang geleitet. „Ich habe damals beim Kreiskabinett für Kulturarbeit gearbeitet und den Auftrag bekommen, aus einer kleinen Singegruppe einen Chor aufzubauen.“ Schon zwei Monate später trat er in Halle beim Landeschorsingen auf. Sie hat mit dem Ensemble geprobt, Lehrgänge besucht, sich an der Hochschule für Musik in Leipzig zur Chorleiterin ausbilden lassen. Und viele Auftritte mit dem Chor absolviert. „Jedes Jahr bestimmt im Durchschnitt um die 15“, sagt Frau Karl. „Inzwischen haben wir auch in Italien gesungen, in Ungarn, Österreich, wir sind fast durch die halbe Welt gekommen. Es waren wunderschöne Jahre“, schwärmt sie.

Akribisch Chronik geführt

Und sie könnte ganz genau über jedes Konzert und jede Reise berichten, hat sie doch vom ersten Tag an akribisch eine Chronik geführt. Vom 1. März 1975 bis jetzt. Fünf dicke Bände. Marianne Karl, Jahrgang 1928, stammt aus dem heutigen Polen. Aus den Beskiden, wo die sportbegeisterte Familie an jedem Wochenende wandern ging oder in den Wintermonaten mit Schlittschuhen, Ski und Schlitten unterwegs war. „Mein Vater war sehr streng“, blickt Marianne Karl zurück. „Du musst hart sein. Das hat er immer gesagt. Er hat mich fürs Leben erzogen.“ Kurz vorm Kriegsende, mit 16 Jahren, kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland.

Sie arbeitete ein Jahr als Kuhmagd in Gonna, dann mehrere Jahre in einer Drahtseilfabrik in Sangerhausen, holte nebenbei noch mal die mittlere Reife nach, die ihr in Polen nicht mehr bescheinigt worden war, lernte an der Volkshochschule Stenografie und Maschine schreiben, arbeitete selbst bei der Kreisvolkshochschule und dann bei der Urania, einer Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse in der DDR.

Dass sie schon als Siebenjährige Klavierunterricht hatte und Ehemann Heinz ihr später ein Akkordeon schenkte, weil kein Platz für ein Klavier war, dürfte wohl auch eine Rolle gespielt haben. „Mein Mann war Berufsmusiker, Schlagzeuger.“ Was freilich auch erklärt, dass auch ihr Sohn Jürgen musikalisch ist. „Ich habe ihn ja von klein auf oft mitgenommen zu Proben oder zu Auftritten“, sagt Frau Karl, die in Gonna den Dorfclub mit ins Leben und eine Singegruppe geleitet hat, nachdem ihr Mann eine Jugendblaskapelle gegründet hatte.

Zu Höchstleistungen angetrieben

Marianne Karl ist dankbar dafür, dass sie mit dem Chor der Volkssolidarität in fast vier Jahrzehnten viel Schönes erlebt hat. Und die Sängerinnen sind es ebenfalls, wie Nora Lange als Vorstandsvorsitzende des Chores erklärt. „Frau Karl hat uns zu Höchstleistungen angetrieben.“ So sei der Chor auch über die Kreisgrenzen hinaus bekanntgeworden. Immerhin zählte er zeitweise 40 Mitglieder. Zurzeit sind es 28, die Jüngste ist Anfang 60. Doch so viele Auftritte wie früher stünden nun nicht mehr im Terminkalender, das lange Stehen falle den älteren Mitgliedern zunehmend schwerer.

Umso schöner sei es, wenn der Chor wie in der vorigen Woche mit seinem Weihnachtskonzert seinem Publikum Freude bereite. Solche Momente genießt Marianne Karl nach wie vor, auch wenn sie aus gesundheitlichen Gründen doch etwas kürzer treten wird. Aber ihre Frage an die Chorfrauen, ob sie „als ganz kleine Sängerin vielleicht wiederkommen und singen“ dürfe, war wohl doch eher rhetorischer Natur. „Ich kann ohne den Chor nicht sein. Ich singe zweite Stimme“, sagt sie resolut und mit einem Lächeln.