Adventskalender Adventskalender: Was es mit dem Mutterhaus auf sich hat

Sangerhausen - Das Mutterhaus? Ob das wohl etwas mit der Entbindungsstation des Krankenhauses zu tun hat? Waren dort früher die werdenden Mütter untergebracht?
Oder heißt es Mutterhaus, weil es der ersterbaute Gebäudeteil der Sangerhäuser Klinik ist? Beide Theorien sind falsch, weiß Kliniksprecherin Anett Brommund-Schnabel.
Das Mutterhaus, das heute von der Klinikverwaltung genutzt wird, hat eine völlig andere Geschichte. Es wurde 1926 als zentrale Landespflegeschule der Evangelischen Landpflegeschwestern begründet.
Mutterhäuser waren Zentrum und Ursprungsort einer kirchlichen Gemeinschaft, das Stammhaus von Ordensgemeinschaften.
Gräfin war Gründerin
Gottfried Appel, Pfarrer in Rente, hat sich schon etwas mit der Geschichte des Sangerhäuser Mutterhauses auseinandergesetzt.
Er weiß, dass sich die Evangelische Landpflege-Schwesternschaft 1907 in Berlin gegründet hat. Frida Gäfin zur Lippe sei die Begründerin gewesen.
Die Schwesternschaft habe sich sehr schnell deutschlandweit ausgebreitet. Innerhalb von zehn Jahren seien 65 Stationen in ganz Deutschland entstanden.
Die Dienste, die die Schwestern anboten, scheinen sehr wichtig gewesen zu sein damals. „Wer die Gemeindeschwestern aus DDR-Zeiten noch kennt, der weiß in etwa wie auch die Landpflegeschwestern arbeiteten.
Aber ihr Tun war nicht auf medizinische Hilfe beschränkt“, erklärte Gottfried Appel. Krankenpflege, ländliche Hauswirtschaft, Jugendpflege und Bibelkunde seien das Metier der evangelischen Landpflegeschwestern gewesen.
Anliegen sei es gewesen, der Landflucht vorzubeugen. Das sei auch damals bereits ein Problem gewesen.
Das Mutterhaus in Sangerhausen sei gegründet worden, um die dezentralen Landpflegeschulen an einem Ort zusammenzuführen.
Kaserne der Roten Armee
Die Schwestern lernten und lebten dort und erwarben das nötige Rüstzeug, um dann als Landpflegeschwester zu arbeiten. Drei Jahre dauerte die Ausbildung.
Meist seien es alleinstehende Frauen gewesen, die sich den Landpflegeschwestern anschlossen, weiß Appel.
Nach dem Krieg wurde das Mutterhaus zur Kaserne für die sowjetischen Militärs. Und die Landpflegeschwestern wurden auch nicht mehr allzu lange geduldet, weiß Appel.
Die letzte Oberschwester sei beschimpft und wegen Medikamentenschmuggels angeklagt worden. Appel: „Wahrscheinlich hatte sie Medikamente, die es hier in diesem Teil Deutschlands nicht gab, von anderen Landpflegeschwestern besorgen lassen, um den Leuten hier zu helfen.“
Anfang der 1950er Jahre verließ die letzte Landpflegeschwester Sangerhausen. Ein Teil der Landpflegeschwestern wurde als eigene Gruppe in das Diakonissen-Mutterhaus Cecilienstift in Halberstadt integriert. Im Westen nahm die Schwesternschaft 1965 die Bezeichnung Christophorus-Schwesternschaft an. Letzter Wirkungsort war bis 2006 Bad Pyrmont.
Gedenkstätte entdeckt
Vor zwei Jahren etwa entdeckte die Ehefrau des Pfarrers Michael Pietrusky eine Gedenkstätte für die Schwestern auf dem Sangerhäuser Friedhof wieder.
Seither werde die Gedenkstätte wieder gepflegt und werde regelmäßig zu den Jutta-Tagen in Sangerhausen aufgesucht, um der Frauen zu gedenken, die im Geiste Juttas handelten und sich selbstlos für andere Menschen einsetzten, so wie das Jutta getan habe, berichtete Gottfried Appel.
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Tiefere Nachforschungen unter anderem in Archiven will jetzt der Sangerhäuser Geschichtsverein anstellen. Wer die Nachforschungen unterstützen möchte, vielleicht Fotos besitzt oder selbst ein Zeitzeuge ist oder Informationen geben kann, kann sich an den Vorsitzenden des Geschichtsvereins, Helmut Loth, wenden.
Vielleicht weiß ja jemand noch etwas aus den letzten Tagen der Landpflegeschwestern in Sangerhausen, hofft auch Gottfried Appel. Aber auch neuere Geschichten, Fotos und Erkenntnisse über das Mutterhaus selbst sind sehr erwünscht.
(mz)

