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30 Jahre Wende  30 Jahre Wende : Trotz Mauerfall: Der Heimat treu geblieben

Von Beate Thomashausen 13.11.2019, 12:19
Götz Schneegaß sang und moderierte bei vielen Veranstaltungen. Hier ist er in Halle bei einem Auftritt mit den Petersberger Musikanten.
Götz Schneegaß sang und moderierte bei vielen Veranstaltungen. Hier ist er in Halle bei einem Auftritt mit den Petersberger Musikanten. schumann

Oberröblingen - An die Wendezeit erinnert sich Götz Schneegaß (84) sehr gut. Damals war er Direktor der Kreismusikschule in Sangerhausen. „Und ich steckte mitten im Bau der neuen Musikschule“, erinnerte er sich.

1984 habe er im Auftrag des Rates des Kreises das Alte Schloss in Sangerhausen erworben. Eigentümer waren unter anderem die Stadt Sangerhausen und ein Betrieb für Bettfedernreinigung.

„Die waren ganz froh, dass sie das Gebäude los waren. Heute wäre das ganz sicher anders.“ Auf jeden Fall hatte der Musikschuldirektor so neben seinen eigentlichen Aufgaben auch noch ein Großprojekt zu betreuen.

DDR-Bürger wissen, was es bedeutete, wenn man bauen wollte. Material war knapp. selbst für Projekte, die vom Kreis unterstützt wurden.

Im Naturschutz engagiert

600 Schüler lernten an der Musikschule. Für die Lehrer war der Musikschuldirektor zuständig. Und da habe er damals hochkarätige Musiker verpflichten können, ist er noch heute stolz.

Und nebenbei der Umbau des gewaltigen Anwesens. „Ich habe in der Zeit keinen Urlaub gemacht und war jeden Tag auf der Baustelle“, erinnerte er sich an die für ihn sehr aufregende Zeit.

Schneegaß hatte aber auch noch Zeit, die Gesellschaft für Natur und Umwelt in Sangerhausen unterm Dach des Kulturbundes mitzubegründen.

Der Kulturbund war in der DDR eine Nische, in der man etwas freier reden und agieren konnte, so Schneegaß.

Mit der Gesellschaft für Natur und Umwelt wollte die DDR damals den aufkommenden Forderungen nach mehr Umweltschutz nachkommen. Wie weit das her war, erlebte Schneegaß als Vorsitzender der neuen Gesellschaft alsbald.

„Es gab da ein Schwarzstorchnest bei Uftrungen im Wald. Das war etwas ganz Besonderes und aus unserer Sicht schützenswert. Wir haben mit den Verantwortlichen des staatlichen Forstbetriebs in Roßla gesprochen, dass man doch das Umfeld um dieses Nest schonen und schützen solle. Die Herren nickten zwar, aber nach ein paar Wochen waren dann doch alle Bäume rings um diesen Horst abgeholzt.“

Auftrittt zu jedem Anlass

Mit seiner Meinung habe er nie hinterm Berg gehalten. „Ich war nicht in der SED, auch wenn ich zwangsläufig eng mit der Partei und den Staatsorganen zusammengearbeitet habe.

Denn bei Festen und Feiern trat natürlich die Musikschule auf. Eine Zusammenarbeit war also unvermeidlich.“ Dass er der Partei nicht angehörte, stieß bei der SED natürlich auf.

„Ich wurde zum 1. Sekretär der SED-Kreisleitung bestellt, der sich darüber mit mir unterhalten wollte. Ich habe ihn gefragt, ob er mit meiner Arbeit unzufrieden sei und dass er mir das dann sagen müsse. Ich wurde nicht mehr damit behelligt, in die SED eintreten zu sollen.“

Obwohl er nie einer politischen Partei angehörte, bezeichnet sich Schneegaß doch als einen politischen Menschen. Die Entwicklungen in der DDR im Jahr 1989 habe er mit großem Interesse verfolgt.

Bei den Demonstrationen in Leipzig sei er nie dabei gewesen. „Der Bau“, erklärt er heute noch beinahe entschuldigend. „Die Arbeit an der Musikschule hat mich damals einfach nicht losgelassen.

Nebenbei die Arbeit am Theater.“ Als die Friedliche Revolution Ende Oktober, Anfang November auch in Sangerhausen ankam, sei er mit seiner Frau Marianne immer mit dabei gewesen.

Stimmung auf der Straße ändert sich

„Es war ein befreiendes Gefühl. Es gab in der gesamten DDR in dieser Zeit eine beispiellose Solidarisierung. Wir waren auf der Suche nach Veränderungen, nach Reformen und einem neuen Lebensinhalt. Das war faszinierend für mich. Darin steckte eine neue Hoffnung.“

Eine Zäsur sei noch einmal der 9. November 1989 gewesen. Die Grenzöffnung sei bis dahin so undenkbar gewesen. Schneegaß: „Wir haben gemerkt: Hier ändert sich etwas. Der Ruf auf den Straßen veränderte sich dann schnell von ,Wir sind das Volk!’ in ,Wir sind ein Volk!’“

Da seine Arbeit an der Baustelle für ihn vorging, machte sich Götz Schneegaß erst Mitte Dezember gemeinsam mit seiner Frau auf den Weg in den Westen.

Die Gespräche an einem Imbiss in Bartelsfelde, wo alle neugierig auf die Besucher aus dem Osten waren, sind ihm ebenso in Erinnerung geblieben, wie der erste Eindruck von einem Supermarkt im Westen.

„Da gab es Waren noch und nöcher. Das hat mich gelinde gesagt erschlagen“, stellte er fest. „Das war damals nicht unsere Welt.“

Nicht an Flucht gedacht

Dabei war der Westen gar nicht so ganz neu für ihn. Im September 1989 durfte er zur Beerdigung eines Cousins nach Westberlin reisen und dort zehn Tage bleiben.

Aber da habe er nicht die Supermärkte besucht. „Ein Schneegaß hat da viel lieber die Berliner Philharmonie aufgesucht und die Städtische Oper und das Wohnhaus des Baritons Dietrich Fischer-Dieskau“, sagte er.

Für immer im Westen zu bleiben, das sei damals für ihn keine Option gewesen. „Meine Heimat war hier bei meiner Familie und bei meiner Musikschule. Ich wollte doch in Sangerhausen noch eine würdige Stätte für die Musik schaffen.“

Und dabei habe er 1972, als er zum Musikschuldirektor berufen wurde, geglaubt, dass er bei nächster Gelegenheit wieder zum Theater zurückkehren würde. „Schließlich sind aber 30 Jahre daraus geworden, über die ich sehr froh bin.“ Und nach der Wende sei es dann sehr viel einfacher gewesen, den Bau an der Musikschule voranzutreiben.

(mz)