"Wir sind hypervorsichtig" "Wir sind hypervorsichtig": Pandemie verändert den Alltag von "Essen auf Rädern"

Querfurt - Kurz nach 9 Uhr in der Küche der Volkssolidarität im Fliederweg in Querfurt: Es herrscht reger Betrieb. Wagen, auf denen sogenannte Thermoporte liegen, werden herangefahren. Fischstäbchen, Kartoffeln und Dillsoße stehen bereit, um sie in diese Speisetransportbehälter, die Essen besonders lange warm halten, zu portionieren. Unter Haarnetz und Mundschutz sind die Mitarbeiter schwer zu unterscheiden. Aber einer sticht mit seiner grünen Kochmütze heraus: Küchenchef Hans Heinrich (55). „Seit Mitte März arbeiten wir in unserer Küche mit zwei Gruppen, die sich tageweise abwechseln“, erklärt er, „falls eine krankheitsbedingt ausfällt oder Mitarbeiter unter Quarantäne gestellt werden, bleiben wir arbeitsfähig.“
Folgen der Pandemie: Essenszahlen gestiegen
Die Coronavirus-Pandemie hat sich auf viele Bereiche des Lebens ausgewirkt, auch auf den Arbeitsalltag der Mitarbeiter vom Menüservice „Essen auf Rädern“ und dem Pflegebereich der Volkssolidarität (VS) Saale/Kyffhäuser. Sie tragen eine große Verantwortung, denn die überwiegende Zahl der Kunden und Patienten ist betagt und/oder pflegebedürftig. „Essen auf Rädern“ und der Pflegebereich „sind Betriebsteile, die wir nicht mal so einfach schließen können“, so Geschäftsführer Dirk Jürgens.
Bereits Ende Februar trat laut Stefanie Minnder (33), Pflegedienstleisterin in der Region Merseburg-Querfurt, der interne Krisenstab zusammen. „Der seit Jahren parat liegende Pandemieplan ist zum Tragen gekommen“, erklärt sie. Unter anderem wurde umgehend weitere Schutzausrüstung organisiert, die ohnehin schon strengen Hygienemaßnahmen verschärft und in den Arbeitsbereichen die Aufteilung in Gruppen, die regelmäßig zwischen Präsenz und Home Office wechseln, vorgenommen.
Große Stückzahl der Transportbehälter Thermoporte nachgeordert
„Die Versorgung ist somit gesichert“, sagt Küchenchef Heinrich für seinen Bereich, wo mittlerweile täglich rund 850 Portionen zubereitet werden. Vor Corona seien es zwischen 1.000 und 1.100 gewesen. Schon jetzt steige die Nachfrage von Tag zu Tag und es werden bald wesentlich mehr Portionen als vor Corona sein, schätzt Heinrich ein. „Wir haben viele Kunden hinzubekommen.“ Das hänge unter anderem damit zusammen, so der 55-Jährige, dass andere Caterer nicht mehr geliefert haben.
Da außerdem aufgrund von Einrichtungsschließungen Sammelbestellungen auf Einzelportionierung umgestellt werden mussten, wurde sofort eine große Stückzahl der Transportbehälter Thermoporte nachgeordert. Laut Geschäftsführer Jürgens investierte die VS für die bestellten 300 Stück insgesamt rund 100.000 Euro. Zudem wurden für den Menüservice Lagerbestände deutlich erhöht. „Damit wir voll handlungsfähig sind, falls es zu Engpässen oder Verzögerungen kommt“, so Jürgens.
Veränderungen nur mit Absprachen
18 Essenstouren bedient der Menüservice täglich. Die Lieferzeiten seien genau ausgetüftelt, so Küchenchef Heinrich. „Die Kunden von Essen auf Rädern wissen, wann der Fahrer kommt - und da warten sie auch meist drauf.“ Gibt es Veränderungen, dann erfolgen Absprachen.
So zum Beispiel mit Mitarbeitern der eigenen Pflegeabteilung. Denn rund 80 Prozent des ambulanten Pflegedienstes der VS werden laut Minnder mit dem Essen vom Menüservice versorgt. Sie fügt an: „Das Zusammenspiel funktioniert sehr gut.“
Mitarbeiter der Tagespflege nun in der ambulanten Pflege mit eingesetzt
Das trifft auch auf die Tagespflegeeinrichtung im Haus im Fliederweg zu. 20 Patienten, die Mehrzahl von ihnen ist demenzkrank, werden dort betreut. Als ab 23. März die Tagespflege allerdings geschlossen werden musste, gab es ebenfalls einen Plan. „Wir haben sie ambulant weiterlaufen lassen für elf Patienten“, so Minnder. Auch da habe die Änderung der Essensversorgung sofort geklappt.
Außerdem wurden Mitarbeiter der Tagespflege nun in der ambulanten Pflege mit eingesetzt. Da habe es kein Mosern gegeben, so die Pflegedienstleiterin. Chef Dirk Jürgens ergänzt: „Die Bereitschaft vom Personal war immer da, in anderen Bereichen auszuhelfen.“ Er, Minnder und Heinrich sind für das Engagement der Mitarbeiter sehr dankbar. „Sie arbeiten für unseren Leitspruch ,Miteinander-Füreinander’“, meint der Küchenleiter.
Pflegekräfte als Schlüsselfiguren in Corona-Zeiten besonders bedeutend
Seit 11. Mai hat die Tagespflege im Haus der VS im Fliederweg mit einer Notbetreuung für die elf Patienten wieder geöffnet - allerdings ist einiges anders: Die Patienten werden einzeln mit behindertengerechten Bussen abgeholt, kommen ausschließlich zum Hintereingang ins und aus dem Haus und sitzen nur zu zweit am Tisch. Ihnen zu erklären, warum das so sein muss, sei die größte Schwierigkeit, sagt Minnder.
Von Vorteil sei da das System der Bezugspflege, was seit Jahren Anwendung findet: Dabei werden die Patienten jeweils von einer kleinen Zahl an Mitarbeitern betreut und gepflegt. „Die Pflegekräfte sind ihre Schlüsselfiguren und das ist besonders in Zeiten von Corona der Halt für unsere Patienten“, so die Pflegedienstleiterin.
Volkssolidarität Saale/Kyffhäuser will Maßnahmen weiterführen
Lob und Anerkennung von den Kunden gebe wiederum den Mitarbeitern der VS Kraft für ihre tägliche Arbeit. „Wir müssen gesund bleiben. Das ist das Ziel, denn alle müssen versorgt sein“, meint die 33-Jährige.
Die Volkssolidarität Saale/Kyffhäuser werde ihre eingeleiteten Maßnahmen auch in den nächsten Monaten weiter so fortführen, erklärt Jürgens. „Wir sind hypervorsichtig“, sagt der Geschäftsführer, „denn wenn wir schludern, würde es bedeuten, dass unsere Patienten nicht mehr versorgt werden können - von jetzt auf gleich.“ (mz)

