Theater-Premiere in Quedlinburg Theater-Premiere in Quedlinburg: Das Doppel-Ich

quedlinburg - Es sei „eine leise Inszenierung“ verkündet der Anschlag an der „Amphitryon“-Kasse, der rät, sich nach vorn zu setzen. Die erste Reihe bleibt in der Premiere beinahe ganz leer. Gelegentlich ist es so still, dass die drei Handy-Klingler nicht zu überhören waren. 92 nicht immer leise und auch nicht wortleere Minuten folgen. Oder ein paar mehr, denn Arnold Hofheinz steht schon Minuten vor dem ersten Wort „Theben“ auf der Bühne. Pusselt rum, macht mit den Fingern Schatten- und mit dem Scheinwerfer Lichtspiele, schreitet auf der geneigten Bühne umher und klappert mit den Rollos.
Ausstatterin Bianca Fladerer füllt den Spielraum augenhoch mit Jalousetten. Licht und Schatten lassen sich damit genau regulieren, sagt die Werbung. Doch es geht wenig um die Optik in Heinrich von Kleists „Amphitryon“. Die Tragikkomödie, ja, es wird in der Premiere auch gelacht, ist unzählig oft inszeniert worden.
Rosmarie Vogtenhuber fügt ihre wohlüberlegt dezimierte wie pausenlose Fassung an, verfolgt konsequent ihr Konzept, das aufzugehen scheint. Keine Standing Ovations oder Bravos für Team und Ensemble, doch viel Beifall für die Beteiligten und den hoffnungsvollen Saisonauftakt für ein großteils neues Sprechtheater-Ensemble.
Kleists komisches Verwirrspiel rankt sich um den doppelten Amphitryon, den Gerold Ströher spielt. Der thebanische Feldherr kommt aus dem Krieg zurück und seine lange entbehrten Frau Alkmene ist noch ganz hin und weg von der höchst sinnlichen und schönsten Liebesnacht ihres Lebens, die sie gerade mit ihm verbracht haben will. Doch sie verfiel der Manneskraft von Gott Jupiter, der in Amphitryons Hülle sprang. Doch die Körpersprache Ströhers buchstabiert Jupiters Eitelkeiten ebenso wenig vordergründig durch wie das Heimkehrer-Alphabet des Feldherren. Mona Luana Schneider zweifelt als im Sexy-Rot gewandete Alkmene an ihren Sinnen und dem Herzgefühl. Es scheint Schneider fast zu zerreißen zwischen der Liebe zum Ehe-Feldherren und dem göttlich-guten One-Night-Stand, der sie zum Spielball der Männer macht.
Zwischen den rasselnden Rollos als Trennung, Aus- und Durchblick sowie als Projektionsfläche der Klone entfaltet sich das existenzielle Verwirrspiel, das wohl nach Antworten sucht, die aber bei Vogtenhuber nicht vorrätig sind. Alkmene und Amphitryon verfangen sich in den Verknotungen von Kopf und Bauch. Dieses Doppel-Ich und Doppel-Du treibt die Akteure um und fast in den Wahnsinn, zumindest in eine tiefe Lebenskrise, die fürderhin alles Gesehene und Erlebte in Zweifel ziehen wird.
Denn auch Amphitryons Diener Sosias (Curdin Caviezel) muss erleben, dass sein Doppel ihm mit harter Hand der Zutritt zum heimischen Ankerort verwehrt. Caviezels Kampf mit dem Hofheinzschem Merkur grenzt an beste Pantomime und Komödiantentum, wenn die Puppe geprügelt wird und es den Sosias schmerzt. Toll, wie die beiden Darsteller den Einstiegsmonolog proben.
Als Charis hat Lisa Marie Liebler in wenigen Momenten das Podium, sich und ihre Darstellkunst zu präsentieren. Jupiter Sebastian Borucki zeigt sich im letzten Inszenierungsdrittel. Ja, er ist Gott, doch eigentlich will er als er geliebt werden und nicht als Double.
Rosmarie Vogtenhuber verfällt ob der Versuchungen zwischen Facebook und Blogs nicht dem Aktualisierungswahn, erzählt keine Story vom Identitätsklau, sondern hat ihren Kleist gelesen und will dem Zuschauer sagen, wie sie ihn versteht.
Und doch fragt sich das Publikum, ob man sich seiner selbst noch so ganz sicher sein kann, wenn der Spiegel fehlt, sich zu erkennen. Oder man sich zu oft spiegelt? Wer sagt mir, dass ich ich bin und nicht jemand anders? (mz)
