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Sowjetische Kaserne in Quarmbeck Sowjetische Kaserne in Quarmbeck: Erinnerung an den ehemaligen Nachbarn

Von Bianca Müller 16.12.2019, 12:56
In Bärbel Hellmunds Fotoalben finden sich auch Aufnahmen, auf denen  Reste des  Russenturms zu sehen sind.
In Bärbel Hellmunds Fotoalben finden sich auch Aufnahmen, auf denen  Reste des  Russenturms zu sehen sind. Bianca Müller

Quedlinburg - Unter Nachbarn kann’s schon mal schwierig werden - davon können ja nicht nur viele Hausbesitzer ein Lied singen. Bärbel Hellmund denkt dabei nicht etwa an zu laute Musik oder Bäume, die ins nachbarliche Grundstück ragen.

Sie erinnert sich an die Zeit, in der der Ortsteil Quarmbeck sowjetischer Truppenstandort war. Eine Zeit, in der Panzer manchmal das Stadtbild unter der Altenburg färbten und Freundschaft und Skepsis immer nah beieinander lagen.

Die Altenburgwarte gibt einen ansehnlichen Ausblick auf Quedlinburg. Vielleicht hätte man ein ähnlich hübsches Panorama mit dem Schloss als Herzstück heute auch haben können, ohne in Wanderstiefeln die enge Wendeltreppe der alten, dunklen Feldwarte zu erklimmen.

Panoramablick vom Russenturm

„Wenn der Russenturm noch wäre“, überlegt Bärbel Hellmund laut. Auf einer Landkarte hat es den gut sechs Meter hohen Ziegelbau nie gegeben - auf dem verlängerten Arm des Salzbergs zwischen 1968 und 1992 aber sehr wohl.

Ihren Namen verdankt die Aussichtsplattform, die nie eine werden durfte, der Umgangssprache von Anliegern und Anwohnern zwischen Hüttenweg und Hundeplatz. Und nicht zuletzt natürlich der Tatsache, dass sie von den hier stationierten Einheiten der Sowjet-Armee gebaut wurde.

Schon die Kasernierte Volkspolizei nutzte das - ebenfalls umgangssprachlich - Crosshang genannte Areal als Schießplatz. Zu Beginn habe es Spekulationen gegeben, hier entstünde ein Hubschrauberlandeplatz.

Betrunkene Russen auf Hasenjagd

Letztlich spielten diese Mutmaßungen aber gar keine Rolle mehr. Die Panoramascheibe war bereits eingesetzt, das eiserne Treppengeländer montiert, ein Kabelgraben ausgehoben, sogar das Baujahr als Signatur im Mauerwerk verewigt - da kam es zum Baustopp.

Ein kleiner verwaister Turm zwischen Panzerfahrschulgelände und Schießstand, der mit stadtplanerischem Enthusiasmus vielleicht mehr hätte werden können.

In Hellmunds Erinnerungen ist er eine kleine Episode. Genau wie ihre Spangenarmbanduhr und Soldaten auf Hasenjagd. Beides liegt irgendwo zwischen eingangs erwähnter Freundschaft und Skepsis.

„Manchmal fuhren die Russen im Wald jagen und kehrten anschließend gut gelaunt im Vereinsheim der Hundesportler ein“, erzählt Hellmund. Zwei Hasen, acht Schnäpse - so oder so ähnlich von der Beute zur Währung für das anschließende Trinkgelage.

Panzer donnern über die Straße

Bisweilen nutzten die Sowjets solche Besuche auch, um kleine Waren anzupreisen. Wie ihre Armbanduhr, die sie so geliebt hat. Hellmund lächelt. In den ersten Jahren bis Ende der 1950er, das weiß sie aus Erzählungen ihrer Eltern, drängten die Offiziere gelegentlich sogar darauf, dass ihre Soldaten als Scheintäter mit den Hunden liefen. Sicher, zur eigenen Unterhaltung natürlich.

In den Siebzigern habe man auch schon mal miteinander Fußball gespielt. Oder gemeinsam auf dem Salzberg gesessen. Bei aller friedlichen Koexistenz in der Wipertistraße, die Russen blieben vorsichtig: „Wenn wir mal was zum Verzehr mitgebracht haben, musste immer einer von uns vorkosten.“

Oft donnerten die gleichen Soldaten nur Stunden später auf dem Weg zum großen Halberstädter Truppenübungsgelände mit bis zu 120 Panzern an eben diesen Schauplätzen vorbei. Das sei laut, aber auch irgendwie aufregend gewesen. „Da haben wir am Rand gestanden und gewunken.“

Mit Kalaschnikow bedroht

Ab 1984 schlug die Stimmung um, Teile der Feldflur bis zum Russenturm waren mit Schlagbäumen abgesperrt. In diese Zeit fallen die dunkleren Erinnerungen. Einmal wurde Hellmunds Bruder von einem jungen, scheinbar unsicheren Wachposten im zugänglichen Bereich mit einer Kalaschnikow bedroht.

Ein Areal, auf dem sie sich zeitlebens sicher und selbstverständlich bewegte - als Hellmunds eigene Kinder und deren Freunde dort spielten, so wie sie noch Jahre zuvor, wurde es plötzlich undurchsichtig, gefährlich. „Zum Glück war dieser Spuk schnell vorbei“, sagt die heute 62-Jährige.

Die Politik war im Wandel, bereits ab 1985 waren kaum noch Soldaten unter der Altenburg zu sehen. Der Russenturm blieb. Zumindest bis 1992. Heute findet man dort höchstens mal noch ein rostiges Panzerkettenglied. (mz)

Durfte nie Aussichtsplattform werden: der Russenturm.
Durfte nie Aussichtsplattform werden: der Russenturm.
Müller