Samuhel-Evangeliar zeigt für kurze Zeit seine inneren Werte
Quedlinburg/MZ. - Nun, einen Tag vor der öffentlichen Präsentation vom 29. Mai bis 30. November zum Jahr der Domschätze, konnten Mitglieder des Gemeindekirchenkreises und des Domschatzausschusses als erste die Prachthandschrift in Augenschein nehmen.
Die Spannung in der Schatzkammer, links neben dem Hohen Chor in der Quedlinburger Stiftskirche, war vielen anzusehen, als Buchrestauratorin Ute Schiborra aus Halberstadt ganz vorsichtig die Schließen des Evangeliars öffnete. Mit einem Holz hob sie behutsam die einzelnen Seiten an. Erläuterungen gab unter anderen die Kustodin des Domschatzes Annette Mentel. Das Heiligenbuch ist nicht nur das älteste in dieser Region, es ist auch eine ganz besondere Prachthandschrift. Durchgehend wurde sie von dem Mönch Samuhel, der sich entgegen sonstiger Gepflogenheit selbst am Schluss nennt, mit Goldtinte geschrieben.
Das Samuhel-Evangeliar besitzt neben den Texten 24 Schmuckseiten, darunter 16 so genannte Kanontafeln, welche in zwei-, drei- oder vierspaltigen Reihen die Stellen anzeigen, die in den vier Evangelien übereinstimmen. Dabei handelt es sich um Berichte vom Leben und Wirken Jesu auf Erden. Auf vier Seiten werden zudem die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes dargestellt. Ihnen gegenüber liegen jeweils ebenfalls künstlerisch ausgestaltete Initialseiten.
Das Samuhel-Evangeliar entstand im zweiten Viertel des 9. Jahrhunderts, wahrscheinlich im Augsburger Raum. Wie und wann es nach Quedlinburg kam, ist nicht bekannt. Es dürfte sich aber um das Geschenk eines sächsischen Herrschers handeln und im 10. oder 11. Jahrhundert nach Quedlinburg gelangt sein. Für ein Buch, das über 1 000 Jahre alt ist, befindet es sich in einem hervorragenden Zustand. Die Blätter bestehen aus Kalbspergament. Der prachtvolle Einband entstand im 13. Jahrhundert. Um mit Gold schreiben zu können, wurde das Edelmetall fast zu Staub zermahlen und dann mit Hausenblasenleim - Hausen ist eine Störart - als Bindemittel versetzt, erklärte die Buchrestauratorin. Die Pergamente müssen sehr gut ausgewählt worden sein, denn sie zeigen auch heute keine Risse.
Nachdem die Schmuckseiten, besonders die Zeichnungen mit den vier Evangelisten, betrachtet werden konnten, nahm Pfarrer Steinhäuser das Wort. Er las aus dem Evangelium des Matthäus die ersten Zeilen sowohl in Deutsch als auch in Latein, der Schrift des Samuhel-Evangeliars. Der Pfarrer brachte die Freude zum Ausdruck, dieses besondere Buch aufgeschlagen zeigen zu können. Er dankte dabei unter anderem der Stiftung der Sparkasse, vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden Dr. Klaus Köhler, für die Unterstützung.
Die Öffnung des Samuhel-Evangeliars ist eine Öffnung auf Zeit, wie Annette Mentel erläuterte. Das wertvolle Buch sei früher nur zu ganz besonderen Anlässen aufgeschlagen worden, was sein guter Zustand dokumentiert. In den kommenden sechs Monaten wird alle sechs Wochen eine Seite mit den Evangelisten zu sehen sein. Das Evangeliar ist dann auf so genannte Buchwiegen gebettet, damit die Seiten keinen Schaden nehmen.
Stiftskirche und Domschatz sind Dienstag bis Sonnabend von 10 bis 18 Uhr sowie Sonntag von 12 bis 18 Uhr zu besichtigen.