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Quedlinburg Quedlinburg: «Die Leute erwarten Witz»

Von RITA KUNZE 05.12.2010, 18:22

QUEDLINBURG/MZ. - Zufrieden hockt der Homunkulus in seiner Ecke. Schneeflocken wirbeln am Fenster vorbei; sie lassen nur wenig Licht hinein, was die illustre Versammlung in der kleinen Ladengalerie noch seltsamer macht. Ein außerirdisches Wesen, das sich auf seinen staksigen Kupferbeinen einen Platz in der ersten Reihe erobert hat, schaut nach draußen. Auf der anderen Seite lacht ein riesiger Käfer in die Runde. Die pure Heiterkeit inmitten ernst dreinblickender Köpfe, denen die Körper fehlen. Wie zu ihrem Schutz steht ein großer Soldat mit rostigem Helm mitten im Raum. Die Geschöpfe von Jochen Müller sind nicht immer so lieb und gefällig wie die Fabelwesen, die sich auf Plätzen und Brunnen im Harz tummeln. Aber vor allem die haben den Metallgestalter aus Quedlinburg bekannt gemacht. Wer kennt nicht die Figurengruppe auf dem Hexentanzplatz?

Unzählige Hände haben seit 1996 besonders der bronzenen Hexe Nase und Hintern goldglänzend poliert. "Das war mein erster Auftrag in der Größe", sagt Jochen Müller. Das Werk zog weitere nach sich: "Dadurch bekam ich den Auftrag für zwei Brunnen in der Teufelsbad-Klinik in Blankenburg und dadurch wiederum für den Jungbrunnen in Bad Harzburg." Mittlerweile bereichern Sagengestalten, Zwerge und weitere Figuren aus der Müllerschen Werkstatt auch den Rathausplatz in Thale, den Bärenbrunnen in Ballenstedt, einen Brunnen in der Quedlinburger Turnstraße und den Platz vor dem neuen Seniorenheim in der Pölkenstraße, stehen Müllers Max und Moritz in der Wilhelm-Busch-Stadt Seesen. Auch für den Marktplatz in Harzgerode soll der Künstler Brunnenfiguren erschaffen.

Jeder Auftraggeber hat seine eigenen Vorstellungen, aber eines ist allen grundsätzlich: "Die Leute erwarten Witz", sagt Jochen Müller. Denn das ist typisch für viele seiner Figuren. Der Künstler kann damit leben, dass seine Arbeit zuweilen als "volkstümlich" betrachtet wird. "Die Leute schauen sie an, freuen sich vielleicht daran und sind in guter Stimmung. Das ist doch schön", sagt er. Und so wird auch sein nächstes Geschöpf ein lustiges sein. Ein Händler will mit einer Werbefigur in der Quedlinburger Innenstadt auf sein Bekleidungsgeschäft aufmerksam machen. Jochen Müller nimmt dafür ein Märchen von Hans Christian Andersen zur Hand: "Des Kaisers neue Kleider". Der kleine Kaiser, dickbäuchig, nackt und natürlich mit einer Krone auf dem Kopf, hat schon deutlich Gestalt angenommen. Für den Metallgestalter eine Herausforderung, denn der Kaiser wird nicht aus Metall sein, sondern aus einem wetterbeständigen Polymer. Mit dem Kunststoff muss anders gearbeitet werden als mit Bronze, die bislang das Material für Jochen Müllers Plastiken bildet. Doch inzwischen kann der sich auch vorstellen, Figuren aus Beton zu gestalten: "Warum denn nicht? Die wären dann allerdings nicht so filigran. Ich müsste die Formensprache reduzieren."

Sich in eine Schublade stecken lassen will Jochen Müller nicht. Er ist Metallgestalter, aber zeichnet auch sehr gern. Das ist die eigentliche Grundlage seiner Arbeit: Wenn er zeichne, dann denke er räumlich. Was folgt, sei eine Umsetzung ins Dreidimensionale: "Der Draht ist eine plastische Linie." Der Schattenwurf, den das Wechselspiel zwischen Licht und Metall hervorbringt, "ist eine grafische Sache, und das finde ich spannend". So sollte man seine metallenen Wesen verstehen, die in der Ladengalerie die Blicke auf sich ziehen. Sie wirken manchmal ein bisschen unheimlich, weil ihre Körper durch die scheinbar abrupt endenden Drahtgeflechte zerrissen erscheinen. So wie der Soldat, der eigentlich keiner war. Mit der Figur wollte Jochen Müller ursprünglich eine Verdichtung des Körpers zeigen - nur wenige Linien unten, deren Zahl zum Kopf hin größer wird und Strukturen bildet. Doch eines Tages fand der Künstler irgendwo einen rostigen Stahlhelm: Das sei wohl Schicksal gewesen, sagt er, und dieser Fund habe der Arbeit eine völlig neue Bedeutung verliehen. Die trägt nun den Titel "Auf verlorenem Posten".

Es ist auch der Kontrast zwischen Fertigem und Unfertigem, der die metallenen Figuren Jochen Müllers so spannend macht. Die Arbeiten seien nie bis ins letzte Detail abgeschlossen - aus einem einfachen Grund: Das ist ein Angebot an den Betrachter, seine Fantasie spielen zu lassen. Ganz nach Jochen Müllers Credo: "Kontraste machen nicht nur die Kunst spannend, sondern das ganze Leben."

Von Gegensätzen lebt auch die Ladengalerie im Stieg. Seit ein paar Jahren teilt sich Jochen Müller die Räume mit der Schmuckgestalterin Nicole Bolze. Aus Gold, Silber und Edelsteinen macht sie ganz besonderes Geschmeide. Darunter auch mancherlei Krabbeltier, das sich zu Müllers Geschöpfen gesellt.