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Prestigeturm als Sonnendach

Von KATHARINA THORMANN 22.12.2009, 16:06

BALLENSTEDT/MZ. - Nach den besagten Sitzgelegenheiten und vierbeinigen Arbeitsunterlagen sucht man in dem von Sonnenlicht durchfluteten Raum allerdings vergeblich. Das mit gemasertem Linoleum ausgelegte Zimmer ist bis auf den herunterbröckelnden Putz leer. So wie alle Klassenräume des riesigen Schulhauses - dem Herzstück des monumentalen Gebäudekomplexes auf dem Ballenstedter Ziegenberg.

Einst im Jahr 1938 erbaut als nationalsozialistische Eliteschule (Napola), wurde es später bis zur Wende als Bezirksparteischule der DDR genutzt. Nach der Wiedervereinigung beherbergte der Komplex zudem die Landesfinanzschule sowie die Berufsschule des Altkreises Quedlinburg. Seither ragt der beängstigend gigantische Bau verlassen über der Stadt. Der Wind pfeift durch die leergefegten Gänge, er hat sich den Weg durch ein paar kaputte Fensterscheiben gebahnt.

Losgelöste Tapetenbahnen hängen von der Decke, die grünen Sitze sind umwebt von Spinnennetzen. Ein trauriger Anblick bietet sich hinauf zu den pompösen, von Staub umgegebenen Kronleuchtern. Auch ihr letzter Einsatz liegt Jahre zurück. Viel schmuckloser und doch ebenfalls dem DDR-Charme verfallen sind die Unterkunftsräume der Funktionäre in den beiden Nebentrakten, nur wenige Meter abseits vom großen Schulgebäude. "Hier waren früher unsere Wohngebäude. Zu Zehnt schliefen wir auf einem Zimmer. Duschen und Toiletten wurden gemeinschaftlich geteilt", führt Klaus Kleinau durch die ausgeräumten Schlafgemächer, die nach dem Krieg zu Einzelzimmern mit integrierten Sanitäranlagen umgebaut wurden. Die Bad-Einrichtungen scheinen beinahe noch in Gebrauch zu sein: Die nostalgischen Spülkasten hängen nutzungsbereit in zwei Metern Höhe und auch an den in Brauntönen gehaltenen Fliesenspiegel der Duschen scheint der Zahn der Zeit nur wenig genagt zu haben.

"Unser Waschtrakt war im Keller", erinnert sich Kleinau. Im Sommer 1945 kamen Strafgefangene aus dem KZ in Nordhausen auf den Ziegenberg, um einen Löschteich auszuheben. "Sie haben sich in einem der Duschräume gewaschen, den wir anschließend nie wieder betreten haben. 'Unter diese Dusche stellen wir uns nicht mehr', hieß es damals. Tja, so war die Erziehung im Nationalsozialismus", von der der Zeitzeuge mahnend der Jugend berichtet. Auch über die Schikanen, mit denen die Napola-Schüler konfrontiert wurden: "Die langen dunklen Flure mussten wir mit Radiergummi säubern."

Und wenn Klaus Kleinau bei seinem Rundgang über das geschichtsträchtige Gelände am allem überragenden Turm angelangt ist, steht auch ihm die Ergriffenheit über diesen Ort ins Gesicht geschrieben. "Eigentlich hatte der Turm überhaupt keine Bedeutung außer als Prestigeobjekt. Es war verboten raufzuklettern. Wir haben uns trotzdem heimlich auf dem Dach gesonnt." Ein regelrechtes Treppengewirr führt hinauf zu dem großen Raum, in dem es außer einem vergilbten Stuhl, Glassplittern und den bis zur Spitze hinaufführenden zentimeterdicken Funkkabeln nicht viel zu sehen gibt - mit Ausnahme des grandiosen Blickes über die Wiege Anhalts.