Opperode in Wasser und Schlamm
OPPERODE/MZ. - "Ostern war gerade vorüber, der Montag war erstmals ein Arbeitstag, nachdem dieser als Feiertag abgeschafft wurde", erinnert sich Rolf Funk. "Deshalb wollte ich an diesem Ostermontag nun zur Frühschicht in die Hütte", erzählte er. Fünf nach fünf wäre eigentlich sein Bus gefahren, doch als er an der Haltestelle stand, vernahm er ungewöhnliche Klänge: "Es rauschte, obwohl kein Wind zu spüren war." Spätestens mit der aufheulenden Sirene kurz nach fünf war ihm klar, das irgendetwas Schlimmes geschehen war.
Die Arbeit war nun zweitrangig - der heutige Ortswehrleiter der Feuerwehr wurde zum Einsatz gerufen. Zu diesem Zeitpunkt sah Hans Steinecke bereits eine große Flutwelle mit dreckiger Schaumkrone durch den Ort rauschen, "binnen Sekunden versank auch bei uns alles in Wasser und Schlamm." Als Handwerker hatte er das Glück, gerade einen Sandhaufen vor der Tür zu haben. "Damit konnte ich wenigstens die Eingangstür abdichten", berichtete der heutige Rentner, "damit die Brühe nicht hinein fließt." Für den Gartenzaun sei jede Rettung aber zu spät gekommen. "Wie sollte dieser denn den Druck aushalten?", fragt er sich noch heute. Bis zu zwei Meter hoch kam das Wasser - und nicht allein: "Das Postfahrrad kam ebenso angeschwommen wie ein Handwagen und allerlei andere Gerätschaften.
Doch woher kam auf einmal so viel Wasser? Was sich bis dahin die Opperöder nicht einmal in ihren schlimmsten Träumen ausgemalt hatten, war zur traurigen Gewissheit geworden: Der Damm des Kunstteiches hatte nachgegeben. Ein etwa vier Meter hohes und fünf Meter breites Stück war aus der Krone herausgebrochen und etwa 20 000 Kubikmeter Wasser gingen in den frühen Morgenstunden des 7. April 1969 unkontrolliert zu Tal. Zwar kam es Tage zuvor durch Tauwetter zu erhöhtem Wasserzufluss, "da haben auch einige am Teich hantiert", konnten sich Steinecke und Funk erinnern, ohne zu wissen, was eigentlich gemacht wurde. Über die Feiertage allerdings ruhte die Arbeit, starken Regen gab es auch keinen.
Über zwei Jahrhunderte hielt der 1749 künstlich angelegte Damm, daher auch der Name 'Kunstteich', aus dem vor allem Wasserräder für die Pumpen im Bergbau angetrieben wurden. Niemand schien sich der Gefahr bewusst, als 1964 Mängel mit dem Überfluss festgestellt und die Beseitigung angemahnt wurde. Erst 1968 erfolgte eine Reparatur am Überflussrohr, bei der aber, wie sich in der Untersuchung nach dem Dammbruch herausstellen sollte, gepfuscht wurde. "Besonders am Beton wurde gespart", ist auch in Unterlagen des Talsperrenbetriebes Sachsen-Anhalt zu lesen.
Doch die Opperöder hatten Glück im Unglück, die Folgen waren nur Sachschäden und voll gelaufene Keller, die von den Feuerwehren aus Opperode, Ballenstedt, Rieder, Gernrode, Bad Suderode und Quedlinburg leer gepumpt wurden, sowie fünf Häuser mit Bauschäden und einige tote Haustiere.
Dem Ballenstedter Feuerwehrmann Fritz Krull blieb der Einsatz sogar ewig anhaften: "Weil er damals zusammen mit Herbert Seese Fegers Ziege mit dem Schlauchboot rettete", erklärte Rolf Funk, "wird er seitdem ehrfurchtsvoll 'Zicken-Krull' genannt."
Die akute Gefahr blieb allerdings auch nach der ersten Welle bestehen. Wegen Überspülungen am Einlaufbauwerk wurden deshalb vorsorglich 20 Familien aus dem Gefahrenbereich evakuiert. Immer noch befanden sich über 150 000 Kubikmeter Wasser im Kunstteich, welche bis zum 9. April mit Pumpen der Wehren auf 70 000 Kubikmeter reduziert wurden - erst dann konnte endlich Entwarnung gegeben werden.
Für die Einwohner ging es nun ans Aufräumen. Das Wasser hatte vieles mitgerissen, Gärten und Wege erheblich verschlammt und tiefe Furchen hinterlassen. Steinecke staunt noch heute über den damaligen Anblick: "Die Bäume im Garten staksten in der Gegend herum, die Wurzeln standen im Freien, weil der Mutterboden weggespült war." Zwischen 1970 und 1974 wurde der Damm komplett saniert, "seitdem herrscht Ruhe", hoffen nicht nur Funk und Steinecke auf keine böse Überraschung.