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Rollstuhl Kinderwagen Rollator Ohne Stufen für Rollstühle und Kinderwagen: Zwei Geschäften in Quedlinburg werden ausgezeichnet

Von Benjamin Richter 26.10.2018, 11:26
Klaus Stegmann vor der NKD-Filiale.
Klaus Stegmann vor der NKD-Filiale. Marco Junghans

Quedlinburg - In der Thomas-Müntzer-Straße im Wohngebiet Rosengarten stieß Heide Khurana bislang an Grenzen. Die Seniorin ist auf ein Elektromobil angewiesen, mit dem sie an hohen Bordsteinkanten oder Treppenstufen hängenbleibt.

Eine solche schnitt ihr bis vor Kurzem an der Straße den Weg ab. Inzwischen ermöglicht ihr eine Rampe aus Bitumen, die Schwelle zu nehmen und den Gang zur Post abzukürzen. „Es tut sich was in Quedlinburg“, freut sie sich.

Arbeitsgruppe „Design für Alle“ kämpft für flache Bordsteine

Dass die Straße mit etwas Asphalt barrierefrei gemacht wurde, ist der Verdienst der Arbeitsgruppe „Design für Alle“. Ihre Mitglieder, Menschen mit und ohne Behinderung, wollen die Stadt so gestalten, dass sie für Rollstuhlfahrer und Eltern mit Kinderwagen gut zugänglich ist.

„Um diesen Zugang zu ermöglichen, müssen vor allem hohe Kanten beseitigt oder überwunden werden“, erläutert Ulrike Döcke, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Quedlinburg.

OB Ruch machte jährlichen Rundgang mit Betroffenen

Beim vierten jährlichen Rundgang für mehr Barrierefreiheit mit Oberbürgermeister Frank Ruch (CDU) waren Betroffene, Senioren und Vertreter von Interessengruppen wieder eingeladen, die Schwachstellen der Stadt zu erkunden.

Doch auch auf erste Erfolge konnten sie blicken: So zeichnete die Arbeitsgruppe erstmals Geschäfte, die Barrieren für Menschen mit Einschränkungen abbauen, mit einem Zertifikat aus. Das orange-grün-blaue Logo „Quedlinburg barrierefrei - Wir sind dabei!“ dürfen sich die Parfümerie Flair in der Steinbrücke und die NKD-Filiale in der Heiligegeiststraße ans Schaufenster kleben.

Die Familie Wiesenmüller, die die Parfümerie betreibt, hatte bei der vergangenen Sanierung darauf geachtet, dass der Eingang barrierefrei gestaltet wird. Weniger als drei Zentimeter hoch ist die Schwelle vor der Tür - Rollstuhlfahrer Klaus Stegmann, ebenfalls Mitglied bei „Design für Alle“, kann problemlos hineinrollen.

„Uns ist außerdem wichtig, dass es im Inneren genug Sitzgelegenheiten für mobilitätseingeschränkte Besucher gibt“, hebt Stegmann hervor, der bislang bei keinem der Spaziergänge „Barrieren in der Welterbestadt“ gefehlt hat. Zudem müssten Seh- oder Hörgeschädigte speziell beraten werden.

„Und wenn Kunden ein Taxi verlangen, sollten die Angestellten dieser Bitte nachkommen.“ Die Kriterien der Arbeitsgruppe seien leicht erfüllbar, wenn man sich der Sache richtig annehme, erklärt die Leiterin des Azurit-Seniorenzentrums, Astrid Staudenraus.

650 Euro Erlös aus Azurit-Konzerts geht an Arbeitsgruppe

Aus dem Erlös des Azurit-Konzerts im Sommer überreichte sie 650 Euro als Spende an die Arbeitsgruppe. Kleinere Lösungen für mehr Barrierefreiheit sind davon schon möglich, wie das Beispiel von NKD beweist:

Vor der Eingangstür des Kleidungsgeschäfts verwehrt eine rund 15 Zentimeter hohe Stufe Rollstuhlfahrern den Zutritt. Abhilfe schafft eine Rampe aus Aluminium mit Riffelung, auf der sie sicher nach oben und hinunter fahren können und die so leicht ist, dass die Verkäufer sie bei Bedarf einfach herbeiholen können.

Kein Hinweis zum Postbank-Fahrstuhl auf dem Hinterhof

Eigentlich hätte „Design für Alle“ an diesem Donnerstag gern noch eine weitere Auszeichnung übergeben. Der Fahrstuhl, der den Zugang zur Postbank in der Bahnhofstraße barrierefrei macht, wurde auch rechtzeitig fertig. „Allerdings befindet er sich im Hinterhof“, sagt Ruch.

„Für Leute, die vor dem Haupteingang stehen, ist nicht ersichtlich, dass es hier einen barrierefreien Zugang gibt.“  Er hofft nun, dass die Stadt sich mit dem Eigentümer darauf einigen kann, ein Schild anzubringen, das auf den Aufzug hinweist. „Dann könnten wir das dritte Zertifikat schon in den nächsten Tagen überreichen“, erklärt Döcke.

Im Rosengarten spazierte die Gruppe aus ungefähr 20 Menschen über einen Weg aus Pflastersteinen eine kleine Anhöhe hinunter. „Hier waren vorher Stufen“, weiß Hausleiterin Staudenraus. Die Wohnungswirtschaftsgesellschaft Quedlinburg (Wowi) baute sie aus und legte einen Fußweg an, auf dem sich auch Rollstuhlfahrer frei und sicher bewegen können.

Gegenüber dem Bahnhof endete der Rundgang, und das nicht ohne Grund: Im Festjahr 2019 werden hier auch viele Besucher mit Einschränkungen ankommen und barrierefreie Wege in die Innenstadt suchen. Deshalb sollte es bis dahin möglichst an allen Kreuzungen auf der Route abgesenkte Bordsteine geben, betonte Frank Ruch.

Zu den behindertengerechten Toiletten am Marktkirchhof, am Marschlinger Hof, am Schlossberg, in der Wipertistraße, am Wordgarten und An den Fischteichen soll 2019 eine weitere in der Blasiikirche hinzukommen. Den Bedarf bei Veranstaltungen wie dem Advent in den Höfen werden die Anlagen selbst dann noch nicht decken können.

Zu solchen Anlässen, kündigt Ruch an, wird es mobile Toiletten für Rollstuhlfahrer geben. „Normalerweise gilt ja die Devise des Bürgermeisters: Keine Dixiklos im Welterbe“, betont er. „Aber für Rollifahrer mache ich eine Ausnahme.“

Elektromobil setzt leicht auf

Dass es auch in Zukunft noch etwas zu tun gibt, zeigte sich auf dem Rückweg: An der Ecke von Heiligegeiststraße und Am Hospital setzte das Elektromobil von Heide Khurana auf dem Bordstein auf. „Mit etwas Asphalt könnte man das lösen“, schlägt Klaus Stegmann vor.

„Aber dann kommen die Denkmalschützer um die Ecke“, mahnt Ruch an - und zeigt auf, warum Barrierefreiheit in Quedlinburg leichter gewollt als umgesetzt ist. „Ganz barrierefrei wird die Welterbestadt nie sein“, sagt Ruch. „Aber wir bemühen uns, unnötige Hürden abzubauen.“ (mz)

Oberbürgermeister Frank Ruch überreicht ein Zertifikat an Geschäftsführer Martin Wiesenmüller.
Oberbürgermeister Frank Ruch überreicht ein Zertifikat an Geschäftsführer Martin Wiesenmüller.
Marco Junghans
Die Teilnehmer des Rundgangs überqueren zu Fuß und im Rollstuhl die Heiligegeiststraße.
Die Teilnehmer des Rundgangs überqueren zu Fuß und im Rollstuhl die Heiligegeiststraße.
Marco Junghans