MZ-Adventskalender MZ-Adventskalender in Quedlinburg: Bei Familie Wolf dreht sich eine besondere Pyramide

Quedlinburg - Das unterste, größte viereckige Gärtchen steht, die erste runde Platte ist mit Holzstäbchen am Pyramidenstab fixiert. „Darauf kommt die Jägerei“, stellt Bernhard Wolf schon einmal in Aussicht und greift nach dem nächsten Gärtchen.
Teller, Gärtchen, Teller... Stück für Stück wächst so eine Pyramide, die einmalig ist. Nicht nur, weil sie mit einer Höhe von 1,20 Metern und einem Flügelrad-Durchmesser von 80 Zentimetern recht stattlich ist. Sie ist ein Unikat, ein echtes Familienstück, um 1850 gebaut von Bernhard Wolfs Urgroßvater, dem Tischlermeister Johann Sigismund Wolf aus Annaberg, der übrigens an einem 24. Dezember geboren wurde. Über den Großvater und den Vater kam die Pyramide schließlich in den Besitz von Bernhard Wolf und seiner Frau Erika.
Das Lehrerehepaar - er war Deutschlehrer und Schulleiter in Ermsleben, seine Frau als Grundschullehrerin tätig - wohnt inzwischen in einer kleinen Wohnung in Quedlinburg. Und hier holt Bernhard Wolf in der Adventszeit die sonst sorgsam verpackten Teile vom Dachboden und baut die Pyramide mit vier Ebenen im Wohnzimmer auf - alle Jahre wieder. „Das ist jedes Mal eine heilige Handlung“, sagt der 92-Jährige.
Während das gute Stück wächst und wächst, erzählt Bernhard Wolf. So etwa, dass die Zäune der Gärtchen aus Wurst-Holzspießen hergestellt sind. Inzwischen schon etwas wackelig, werden sie bei jedem Aufbau gerichtet. Und dass das beim Flügelrad nicht mehr half, das ebenso wie die Flügel in diesem Jahr repariert werden musste. Viele der kleinen Stäbchen an den Flügeln, die diese im Rad halten, waren abgebrochen. Ein Fachmann hat die Arbeiten übernommen, Rad und Flügel passen wieder perfekt auf das obere Ende des Stabes.
„Das sieht doch schon aus wie eine Pyramide“, stellt Bernhard Wolf nach dem Aufsetzen mit einem Schmunzeln fest und greift nach den teils uralten Zigarrenkisten. In diesen warten die zur „Jägerei“, der „Geburt Christi“ oder zum Posaunenchor gehörenden Figuren auf ihren alljährlichen Einsatz. Sie wurden hinzugekauft. Denn die ursprünglichen, die der Urgroßvater selbst geschnitzt hatte, waren offenbar zu schwer - die Pyramide drehte sich nicht - und wütend entsorgt worden.
„Das ist die älteste Figur“, holt Bernhard Wolf einen Hirten aus einer der Kisten - dreht ihn um und deutet auf den Fleck an der Platte unter den Füßen der Figur. „Klebereste“ , erklärt er. „Man hat gedacht, dass die Figuren durch die Drehung der Pyramide herunterfallen würden. Deshalb wurden sie angeleimt und beim Abbau mit einem Messer wieder abgemacht. Bis einer zu faul war, sie nicht mehr angeleimt und gemerkt hat, es geht auch so“, sagt der 92-Jährige lachend. Der Hirte, die drei Weisen und Maria mit dem Jesuskind finden nach und nach ebenso Platz auf den Tellern wie Hirsche, Hunde und verschieden große Bäume, Schafe und Lämmchen sowie Musikanten.
Ein kleines Metallkästchen birgt besondere Schätze. Darin findet sich nicht nur ein Zettel mit den Namen und Geburtsdaten vom Erbauer und den Eigentümern der Pyramide. Darin liegen auch kleine metallene Behälter, die einst mit Rübol gefüllt wurden - Rüböllämpchen, die die Pyramide beleuchteten und sie in Bewegung setzten. „Das ist etwas ganz Besonderes, dass man die noch hat“, sagt Bernhard Wolf, der sie deshalb ebenso sorgsam aufbewahrt wie alle anderen Teile der Pyramide. Die Halterungen für die Rüböllämpchen nutzt er heute für die Kerzen.
Nach gut einer Stunde ist der Aufbau geschafft, sind alle Figuren, die nicht erst noch repariert werden müssen, aufgestellt. Hier und da wird noch an einer der Kerzen gerückt, ehe sie angezündet werden. Andächtig schauen Bernhard Wolf und seine 90-jährige Frau zu, wie sich das Flügelrad und die Teller in Bewegung setzen, zunächst ganz, ganz langsam, dann gleichmäßig schnell. „Es ist immer wieder ein besonderer Moment, wenn sich die Pyramide zum ersten Mal wieder dreht“, sagt Erika Wolf. Alle Jahre wieder.
(mz)

