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Figurentheater Lockdown hat Puppenspielerin Anja Herbener aus Quedlinburg schwer getroffen

Sie habe „Fördermittelanträge rauf und runter“ gestellt, ohne Erfolg. Warum ihre Hoffnung auf Kindergärten und Schulen ruht.

Von Rita Kunze 25.06.2021, 10:00
Anja Herbener erzählt mit „Meine Frau, die Ilsebill“ die Geschichte vom Fischer und seiner gierigen Frau..
Anja Herbener erzählt mit „Meine Frau, die Ilsebill“ die Geschichte vom Fischer und seiner gierigen Frau.. (Foto: Herbener)

Quedlinburg - Anja Herbener hat Kaffee gekocht und stellt das Tablett mit den Tassen auf einen kleinen Tisch im Garten. Eine Amsel, inmitten der Pflanzen auf Futtersuche für ihre Jungen, lässt sich nicht stören; sie wirkt beinahe zutraulich.

Der Eindruck täuscht nicht, sagt Anja Herbener. In den vergangenen Wochen und Monaten habe sie viel Zeit im Garten verbracht. In ihrer eigentlichen Arbeit - sie ist Puppenspielerin, mit ihrem Figurentheater Cirqu^onflexe selbstständig und viel unterwegs - hat sie die Coronapandemie ausgebremst. Auch jetzt, wo vieles wieder möglich ist, Kunst und Kultur stattfinden können, ist das kaum anders.

Sie sei „in der misslichen Lage, dass für die groß geplante Sommerspielzeit im Freien die beantragten Fördermittel wegen zu vieler Anfragen nicht genehmigt wurden“, sagt Anja Herbener. „Damit kann ich den ganzen Sommer nicht vor Ort spielen, sondern bin einzig und allein abhängig davon, dass mich Institutionen wie Kindergärten, Schulen, Horte oder Touristengrüppchen buchen, für die Stücke, die ich normalerweise auch im Programm habe.“

„Ich bin abhängig davon, dass mich Kindergärten, Schulen oder Touristengrüppchen buchen - für die Stücke, die ich normalerweise auch im Programm habe.“

Anja Herbener, Puppenspielerin aus Quedlinburg

Die große Hoffnung, die sie durch das vergangene, beinahe Auftrags-lose Jahr getragen hat, hat sich nicht erfüllt. Und so stehen quasi die Koffer bereit, aus denen sie ihre Märchen holt und Kleinen wie Großen kurzweilige Stunden bereitet:

mit „Meine Frau, die Ilsebill“, der Geschichte vom Fischer und seiner Frau, die nie genug bekommen konnte, immer mehr Macht haben wollte - und der am Ende nichts bleibt. Oder „Der Tag, an dem der Affe beinahe verrückt geworden wäre“, ein mittelamerikanisches Märchen, das sie für jüngere Kinder in Szene setzt.

Die Geschichte dieses Jahres, „Stay@Home, Rapunzel“, bleibt dagegen unerzählt. „Das Figurentheater sollte jährlich eine große Produktion haben“, sagt Anja Herbener. Das ist der Plan, doch ohne Geld funktioniert er nicht. Sie habe „Fördermittelanträge rauf und runter“ gestellt, ohne Erfolg.

Dabei wäre es für sie so wichtig gewesen, diese Geschichte zu erzählen: Stay@home, zu Deutsch „Bleib’ zu Hause“, hat einen aktuellen zeitlichen Bezug, betont sie. „Das kann ich nicht im nächsten Jahr spielen - wie man sich gefühlt hat, eingesperrt zu sein.“

Den Märchenklassiker transportiert Anja Herbener ins Hier und Jetzt, erzählt von der Zauberin, die überlegt, wie sie Rapunzel vor dem Unbill der Welt schützen kann. „Man kann das Leben nicht einsperren, um das Leben zu erhalten“, sagt Herbener.

Sie habe in das Stück Literatur einfließen lassen wollen, die beschreibt, wie Menschen Katastrophen durchleben und überstehen - die Pest, Kriege - und die Antwort auf die Frage gibt, wie Menschen in jenen Zeiten mit Trauer und Leid umgegangen sind.

„Man kann das Leben nicht einsperren, um das Leben zu erhalten.“

Anja Herbener, Puppenspielerin

„Man kann jetzt nicht irgendwas spielen“, überlegt sie. „Es muss eine allgemeingültige Aussage haben.“ Anja Herbener ist überzeugt, dass Theater eine Aufgabe hat: „Denkt und schaut selber“, erklärt sie. Sie hätte das Gefühl gehabt, da einen großen Auftrag zu haben. „Ich habe das auch ernst genommen.“

Die Puppenspielerin hat überlegt, wie sie das Stück „coronakonform“ aufführen könnte - mit Abstand und allem. Große Figuren habe sie bauen wollen, „damit man sie auch von Weitem sieht“. Doch es ist nicht nur das Geld, das fehlt und ihr nun einen Strich durch die Rechnung macht.

Zwei Puppenspieler aus Sachsen, die im vergangenen Jahr in Quedlinburg gewesen seien, wollten an der Produktion mitarbeiten, haben für eigene Projekte Förderanträge gestellt - und im Gegensatz zu Anja Herbener bewilligt bekommen. Sie seien nun zeitlich eingebunden, könnten nicht in Quedlinburg spielen.

Anja Herbeners ganze Hoffnung liegt daher auf den Schulen, Horten und Kindergärten. Dort hätte sie auch im vergangenen Jahr Auftritte gehabt, die wegen der Pandemie abgesagt wurden. „Von denen, die 2020 abgesagt haben, hat noch niemand wieder angerufen“, stellt sie fest.

Ob sich die Zuschauerreihen im Theater in der Bockstraße 3 schnell füllen werden?

Doch sie würde gerne spielen, ihre Figuren vor Publikum zum Leben erwecken. Zu ihnen gehört auch der freundlich-aufgeweckte Hund, der vor allem Touristen erzählen könnte, wie in Quedlinburg der Hund ins Wappen gekommen ist - und warum es sich lohnt, in der alten Fachwerkstadt auch mal nach unten, genauer gesagt auf die Gullydeckel, zu schauen.

Ob sich die Zuschauerreihen in ihrem kleinen Theater in der Bockstraße 3 schnell füllen werden? Die Puppenspielerin bleibt skeptisch. Mit Sorge blickt sie auf den Herbst. „Was ist, wenn wir wieder drin sind?“, fragt sie. Alles verschieben? Am Nordharzer Städtebundtheater sei sie am Weihnachtsmärchen beteiligt gewesen, zu einer Premiere kam es wegen der Pandemie nicht. Wenn es in diesem Jahr aufgeführt würde, könnte sie ihr eigenes Programm nicht machen, oder nur „in sehr begrenztem Maße“.

„Ich weiß in dieser Situation nicht, wie ich etwas Neues entwickeln soll“, sagt sie. Eine Zusammenarbeit mit anderen Künstlern sei dabei auch schwer zu organisieren, denn „alle sind in der gleichen Situation, keiner weiß, wie es weitergeht.“ (mz)