KiEZ Güntersberge KiEZ Güntersberge: Kinder aus zerbombten Städten hier «aufgefüttert»
GÜNTERSBERGE/MZ. - Hunderttausende verbinden den Namen des Harzgeröder Ortsteils Güntersberge, früher einmal die kleinste Stadt des Landes, mit einem Aufenthalt in der inzwischen 60 Jahre alt gewordenen Ferienanlage. Ob in jüngster Zeit zu internationalen Camps, früher im "Zentralen Pionierlager" (ZPL) oder einfach zu Wochenend-Kursen von Feuerwehr, Rotem Kreuz oder anderen Vereinen und Organisationen - das Interesse am heutigen Kinder- und Jugenderholungszentrum (KiEZ) ist ungebrochen.
Mit einem Empfang, zu dem sich sogar Landesvater Wolfgang Böhmer angekündigt hat, wollen die Güntersberger die Gäste am Montag auf eine Zeitreise durch die Geschichte der Einrichtung mitnehmen. "Eigentlich hätten wir die runde Zahl ja schon im letzten Sommer feiern müssen", begründet Christiane Brandenburg, Chefin seit 1990, den späten Termin, "aber wegen der vielen Aktionen mit den in- und ausländischen Gästen hatten wir gar keine Zeit und Platz dafür."
Nun wurde im Club der Nationen eine kleine Ausstellung zusammengestellt, in welcher man die sechs Jahrzehnte mit markanten Ereignissen Revue passieren lassen kann. Der Schreibtisch des ersten Lagerleiters im Original symbolisiert die Jahre des Beginns und Aufbaus. Für den Start hatte einst Wilhelm Pieck gesorgt, der erste Staatspräsident der DDR. Dessen Absicht war es, vor allem Kinder aus zerbombten Städten "auffüttern" zu lassen, deshalb ließ er unter der Regie der FDJ in landschaftlich reizvollen Gegenden Zeltlager für die Sommerferien einrichten. In diesen wurde für den Nachwuchs trotz allgemeinen Mangels eine ordentliche Essensversorgung organisiert. Zugleich stärkten Sport, Spiel sowie Spaß die Körper und Seelen der Kinder, die kurz nach dem Krieg noch mit vielen Mangelerscheinungen zu kämpfen hatten.
Eines der Lager, es trug den Namen des Arbeitersportlers und Kommunisten Werner Seelenbinder, wurde am Rande Güntersberges errichtet. Doch leider gibt es gerade aus den Anfangsjahren fast keine Informationen mehr. Auch die ältesten vorhandenen Fotos stammen erst von 1954. Selbst das jetzt gefeierte Jubiläum basiert lediglich auf einer Urkunde, die zum 25-jährigen Bestehen der Einrichtung auf das Jahr 1950 als Beginn verweist. "Vielleicht erinnern sich ja noch ehemalige Besucher an diese Zeit", hoffen Christiane Brandenburg und ihre Mitarbeiter, "die uns bei der Geschichtsaufarbeitung mit Erlebnissen oder sogar alten Fotos helfen können." Offen sei beispielsweise auch, wann der Ehrenhain eingeweiht wurde. Dank des Museums seit 2001 sind aber technische Entwicklungen und der stetige Ausbau dokumentiert, zunächst mit Holzhütten und Bungalows, später mit festen Gästehäusern. "Dadurch konnte das Ferienlager ab Mitte der 70er Jahre den Winterbetrieb aufnehmen", weiß Brandenburg. Eine "Ormig"-Maschine, mit der Tages- und Speisepläne vervielfältigt wurden, eine "Erika"-Schreibmaschine oder erste Taschenrechner und Computer sind ebenso zu sehen wie umfangreiche Beschäftigungsmappen. "Trotz der immer wieder versuchten ideologischen Beeinflussung ist es pädagogisch sehr wertvolles Material", meint die heutige Chefin, vor der Rudi Böhme, Lutz Schober, Emil Nett und Wolfgang Klett als Lagerleiter fungierten, "weil damit viele Verhaltensweisen, aber auch tägliche Gefahrenpotenziale spielerisch vermittelt wurden."
Mit der vormilitärischen Ausbildung der Lehrlinge in der GST oder dem Wehrlager für die Jungen der höheren Klassen an Oberschulen erweiterte sich die Belegung im Sommer um die Monate Mai und September, was auch Vorteile hatte: "Während Vorauskommandos die Zelte und Bungalows für den Sommerbetrieb herrichteten", hat Brandenburg erfahren, "wurden diese anschließend beim Auf- und Ausräumen wieder für den Winter festgemacht." Früher kamen vor allem Kinder aus der DDR und den sozialistischen Bruderländern wie Polen, der Tschechoslowakei oder Vietnam, manchmal sogar einige von Mitgliedern der Deutschen Kommunistische Partei (DKP) der Bundesrepublik ins Zentrale Pionierlager. Sie mussten noch feste Rituale der Pionierorganisation über sich ergehen lassen, wie blaue und rote Halstücher oder Fahnenappelle. "Doch auch diese Zeit gehört einfach mit zur Biografie der Menschen", will sie Brandenburg nicht verleugnen, sie aber als deutsche Geschichte historisch aufarbeiten.
Heute ist indes fast die ganze Welt zu Gast in Güntersberge, "aus über 80 Ländern", verweist Brandenburg auf die vielen internationalen Camps und auch die Gründung des Weltkinderrates im KiEZ 2009, der im Vorjahr sogar seinen Auftritt im Bundestag hatte. Das Eisen- und Hüttenwerk Thale war seit Beginn Träger der Einrichtung, was sich zur Wendezeit kurios auswirken sollte: "Zunächst hieß es, das Lager gehöre nicht zur Übernahme-Masse des Betriebes, doch über Nacht wurde alles an Ernst Albrecht verkauft und wir standen mit leeren Händen da." Über die Treuhand konnte die Einrichtung aber doch noch privatisiert werden, wie die ausgestellten Verträge aus jener Zeit belegen.
Rund 40 000 Übernachtungen pro Jahr zählt die Ferienanlage heute, wofür 550 Betten zur Verfügung stehen, davon allein 100 lediglich im Sommer. "Meist sind es nur noch Zweibettzimmer", kennen die Güntersberger die gestiegenen Ansprüche der Besucher, die nicht mehr in Schlafsälen nächtigen wollen und ein umfangreiches Freizeitangebot erwarten. "Unseren Ruf müssen wir uns jetzt durch Zufriedenheit der Gäste erwerben." Auch das haben die 15 festen Mitarbeiter und viele Helfer in 60 Jahren gelernt.