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"Interessengemeinschaft Todesmarsch" "Interessengemeinschaft Todesmarsch": Zeugen berichten über Marsch der KZ-Häftlinge

Von Petra Korn 25.01.2016, 18:17
Mitglieder der „Interessengemeinschaft Todesmarsch“ lauschen den Worten der Zeitzeugen Ernst Wißler (Mitte) und Ernst Linde (rechts), die von ihren Erlebnissen im April 1945 im Zusammenhang mit dem Todesmarsch der KZ-Häftlinge aus Langenstein berichten.
Mitglieder der „Interessengemeinschaft Todesmarsch“ lauschen den Worten der Zeitzeugen Ernst Wißler (Mitte) und Ernst Linde (rechts), die von ihren Erlebnissen im April 1945 im Zusammenhang mit dem Todesmarsch der KZ-Häftlinge aus Langenstein berichten. Detlef Anders Lizenz

Ermsleben - Im April 1945 macht die Nachricht in Ermsleben die Runde: KZ-Häftlinge sind die Halberstädter Straße hinauf getrieben worden und nun auf dem Sportplatz. Ernst Wißler, damals 14 Jahre alt, hatte oft Fußball auf dem Platz gespielt. „Wir waren ja noch Kinder. Da war das Bedürfnis zu gucken“, erinnert er sich und schildert: „Es war grauenvoll. Da waren so viele abgemagerte, ausgemergelte Menschen auf dem Platz zusammengepfercht. Dieses Elend konnte man nicht ertragen.

Mein einziger Gedanke war: Du musst helfen.“ Ernst Wißler, der als ältestes von vier Kindern in einfachen Verhältnissen aufgewachsen war, lief nach Hause, um Brot und Wasser zu holen, „das, was zur Verfügung stand“. Zurück am Sportplatz, kam der 14-Jährige gar nicht an die Häftlinge heran, die sich in Richtung des Zugangs zum Sportplatz und derer, die helfen wollten, drängten. Zu den SS-Bewachern, die hin und her patrouillierten, waren weitere Aufpasser aus Ermsleben hinzugekommen.

Mit dem Gewehr zurückgedrängt

„Sie haben uns mit dem Gewehr abgewehrt und gesagt: Geht weg, ihr habt hier nichts zu suchen“, schildert Ernst Wißler. „Die Wachposten waren viel stärker. Wir konnten nichts tun. Hilfe zu leisten, war nicht möglich.“ Was er damals erlebt hat, das hat Ernst Wißler jetzt den Mitgliedern der „Interessengemeinschaft Todesmarsch“ berichtet. Die Frauen und Männer rund um die Vorsitzende Ellen Fauser haben es sich zur Aufgabe gemacht, an das Geschehen vor mehr als 70 Jahren zu erinnern und das Gedenken an die Opfer, die im KZ Langenstein-Zwieberge und auf dem „Todesmarsch“ im April 1945 starben, wach zu halten. Dafür tragen sie zum Beispiel Zeitzeugenberichte zusammen.

Zu diesen gehört auch die Schilderung von Ernst Linde, der in der Nachbarschaft von Ernst Wißler gewohnt hat. An jenem Apriltag 1945 hatte Ernst Linde durch seine Cousins erfahren, dass KZ-Häftlinge auf dem Sportplatz waren. Der damals 15-Jährige musste vorsichtig sein. 1945 noch zum Volkssturm eingezogen und nach Elsterwerda verlegt, war er Anfang April gemeinsam mit weiteren Jugendlichen geflohen. „Ehe wir uns für Hitler totschießen lassen, sind wir fahnenflüchtig geworden“, schildert Ernst Linde, der zuvor schon in Ermsleben in einer Widerstandsgruppe mitgearbeitet hatte.

An jenem Apriltag wagte er sich aus dem Haus, ging mit den elf und neun Jahre alten Cousins zum Sportplatz. Dort blieb er in etwa 10, 15 Metern Entfernung stehen. „Ich musste ja vorsichtig sein.“ Im Zufahrtsbereich zum Sportplatz lag ein Häftling auf der Erde. „Er hat Blut gespuckt. Ein SS-Mann hat ihn gepackt und Richtung Sportplatz geschliffen, als ob er ein Stück Holz wäre.“ Als eine der beiden in der Nähe stehenden Frauen ihrer Empörung darüber Luft machte, wurde ihr sofort gesagt, sie solle sich da heraushalten.

Seine Cousins hatte Ernst Linde zum Haus auf der anderen Straßenseite geschickt, an dem sich außen ein Wasserhahn befand. Sie sollten Wasser holen, um es den Häftlingen, die „nur noch Haut und Knochen“ waren, zu geben. Doch die beiden Jungen kamen ebenfalls nicht an die Häftlinge heran. „Sie wurden weggescheucht“, sagt Ernst Linde.

Einen Tag und eine Nacht blieben die Häftlinge auf dem Sportplatz, sagt Ernst Wißler. Dann wurden sie in Richtung Welbsleben weitergetrieben. Wenig später kamen die Amerikaner. „Das war mein zweites Leben. Ich habe jeden Tag Angst gehabt, dass ich abgeholt werde“, sagt Ernst Linde, der heute in Ballenstedt wohnt. „Es ist wichtig, dass die Erinnerung daran, was damals geschehen ist, wachgehalten wird. Die jungen Menschen wissen doch gar nicht, was damals war“, sagt er.

Ähnlich sieht es Klaus Holz, selbst Zeitzeuge und Mitglied der Interessengemeinschaft. „Es ist wichtig, dass die Erlebnisse aufgeschrieben werden und für unsere Kindeskinder zur Verfügung stehen.“ Werde so doch auch dokumentiert, dass viele geholfen oder zu helfen versucht haben. (mz)

Zeit- und Augenzeuge Ernst Wißler
Zeit- und Augenzeuge Ernst Wißler
Detlef Anders Lizenz