Historisches Spektakel in Quedlinburg Historisches Spektakel in Quedlinburg: Der Kaiser kommt

Quedlinburg/MZ - Die Touristen, die bei Kaffee und Frühstücksei den Quedlinburger Ostersonntag auf dem Marktplatz genossen, wurden Zeugen eines Spektakels, für welches das mittelalterliche Stadtbild seit 17 Jahren die perfekte Kulisse bietet. Begleitet von sakralen Gesängen des Bruders Martin (Martin Orth, Quedlinburg) zog die Prozession der Herrscher und Würdenträger des Ottonischen Reiches bis vor die Rathaustür.
Unter einer Pfalz verstand man im Früh- und Hochmittelalter entstandene (Wohn-)Stützpunkte für den reisenden König. Die Pfalzen, die die Herrscher besuchten, wechselten je nach deren Ausrichtung. Besonders wichtig waren die Festtagspfalzen.
Ostern (lateinisch pascha, von hebräisch pessach) ist im Christentum die jährliche Gedächtnisfeier der Auferstehung Jesu Christi, der nach dem Neuen Testament als Sohn Gottes den Tod überwunden hat. Der im Deutschen gebräuchliche Name Ostern ist altgermanischen Ursprungs und hängt wohl mit der Morgenröte und der Himmelsrichtung „Osten“ zusammen: Der Ort der aufgehenden Sonne gilt im Christentum als Symbol des auferstandenen Jesus.
Lebendig gehalten wird dieser geschichtliche Rahmen von den 14 Mitgliedern des Freundeskreises Kaiserfrühling Quedlinburg e.V. und ihren Gästen. Die fünf Könige und Kaiser aus dem Geschlecht der Liudolfinger und ihre Gemahlinnen, die zwischen 919 und 1024 die sogenannte Ottonenzeit prägten, werden zum Osterfest in ihrer Heimatpfalz Quedlinburg zu neuem Leben erweckt.
Mächtige Frauen
Angeführt wurde der jährliche Zug traditionell von Mathilde, Tochter Otto des I. und Adelheid von Burgund, erste Äbtissin des Stifts Quedlinburg. Sie war eine der mächtigsten Frauen ihrer Zeit. Im Jahr 994 erhielt sie von Otto III. das Privileg des Münz-, Markt- und Zollrechtes für den Marktflecken Quedlinburg. Sie schreitet in Begleitung des Erzbischofs Willigis von Mainz, der nach dem Tod Theophanus 991 faktisch Regent des Reiches wurde. Ihnen folgen im Quedlinburger Osterspektakel Heinrich der I., Otto der I., der Quedlinburg zum wichtigsten Ort der Ottonen in ihrem sächsischen Kernland machte und Otto der II. mit Theophanu, der byzantinischen Prinzessin und späteren Kaiserin. Hinter Otto III. und Heinrich II. machen die Rabenritter aus Schneidlingen Stimmung. Am Ende des Zuges - ein bunter Trupp aus Rittern, Knappen, Edelfrauen und Kindern. „Das Kroppzeug“, wie es Hughwald alias Hansgeorg Wagenknecht als Kulturleiter des Vereins, derb ausdrückte.
Melanie Schneide, 9 Jahre alt, die zusammen mit ihren Großeltern aus dem Westharz anreiste, beeindruckten besonders die Kostüme: „So Prinzessin spielen würde ich auch gern“, staunte sie. Zu Recht - das Publikum kann sich von den Gewandungen der ottonischen Kaiser ein originalgetreues Bild machen, „da stimmt jede Applikation, das ist bundesweit einmalig“, versicherte Wagenknecht. Das mitgeführte, große Holzkreuz kommt pur daher, im zehnten Jahrhundert waren bildliche Abbildungen nicht erlaubt.
Reichstagszene eingemottet
Der bunte Zug führt neben einem „Osterlamm“ auch den „Klostuhl“ Kaiser Otto des I. mit sich. Auf dessen Armlehne sei die Schablone des Kaisersiegels angebracht, sicherlich eine Erleichterung bei den Amtsgeschäften. Es wurde viel gelacht während der Rede Herold Hughwalds.
Geschichte wird gemacht: 2014 feiert Quedlinburg 20 Jahre Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes und 1020 Jahre Verleihung des Markt-, Münz- und Zollrechts durch König Otto III. an seine Tante Äbtissin Mathilde. Dazu wurden vom Freundeskreis für alle drei Pfingsttage „Poeta Historica“ mit Mittelalterdoktor Volker Püschel auf die neue Bühne am gerüstfreien Schlossberg Quedlinburg geladen.
Beim diesjährigen Kaiserfrühling hat allerdings das Szenarienspiel Reichstag 973 ausgedient und wird dann erst einmal in der Klamottenkiste versenkt.
Die frühmittelalterliche Geschichte des ostfränkisch-deutschen Reiches und Quedlinburg als der Heimatpfalz der Ottonen bleibt durch das Engagement der kleinen Vereine wie des Freundeskreises Kaiserfrühling Quedlinburg e.V. lebendig. Schon jetzt werden hier Pläne für 2019 geschmiedet, ein großes Ereignis der deutschen Geschichte gebührend zu begehen: die 1 100-jährige Wiederkehr der Krönung Heinrichs des I., genannt der Vogler, zum König des Ostfrankenreiches im Jahre 919. „Aus Magdeburg“ - als der Landeshauptstadt - „kamen bisher noch keine Signale dazu“, zeigte sich Wagenknecht etwas resigniert.
Dem Qualitätsmerkmal des deutschen Reinheitsgebots sind die Teilnehmer und Gäste am Ende der Oster-Prozession dann übrigens im „Brauhaus Lüdde“ beim kühlen Bier auf den Grund gegangen. 2016 feiert diese weltweit älteste lebensmittelrechtliche Vorschrift ihr 500-jähriges Jubiläum. Und dieses sicherlich auch in Quedlinburg.