Heinrich I. vereinte deutsche Stämme
Quedlinburg/MZ. - Zwischen 815 und 919 bestimmten entwicklungshemmende Eigeninteressen karolingischer Regionalherren das Machtgefüge im Ostfranken-Reich. Auch die seinerzeit im Reich abgelegene "fränkische Königsprovinz Sachsen" war davon betroffen. Erst die Vermählung von 865 des Karolingers "Ludwig der Jüngere" mit der Liudolfingerin Liutgard verschaffte dieser Königsprovinz unvermittelt Kraft durch umfänglich zusammengeschlossenes Hausgut.
Es umfasste schwerpunktmäßig das Reichsgebiet im ostsächsischen und nordthüringischen Raum. Im dazugehörigen Harz war das Region-Siedlungszentrum Quedlinburg längst durch die Verbindung von weltlicher und kirchlicher Macht die bedeutendste Region-Grundherrschaft. Sie wurde zum Fundament und Träger der mittelalterlichen Kulturlandschaft "Harzvorland und Harz". Dem aus der fränkischen Reichsaristokratie hervorgegangenen Königsgeschlecht der Liudolfinger / Ottonen gelang im aufstrebenden Stammesherzogtum Sachsen in der Folgezeit ein rascher Aufstieg zur Macht.
König Heinrich I.
Um 900 war die bedeutendste Familie des sächsischen Hochadels, das Geschlecht der Liudolfinger, in den Besitz von Quitilingaburg gekommen. Heinrich, jüngster Sohn des liudolfingischen Sachsenherzogs Otto (dem Erlauchten) und Herzoggattin Haduwich (sie entstammte dem alten deutschen Grafengeschlecht der Babenberger), ist um 876 geboren. Im Jahre 909 heiratete Heinrich die Klosterschülerin Mathilde aus dem hochadeligen Frauenstift Herford. Sie war die Urenkelin des legendären Sachsenführers Widukind.
Am 30. November 912 starb der sächsische Herzog Otto. Die Nachfolge als Sachsenherzog trat sein Sohn Heinrich an. Seinen herzöglichen Sitz soll er "an der Bode, im nördlichen Harzvorland, in den Quedlinburger Landen", genommen haben. Anfangs des 10. Jahrhunderts begann die Entwicklung Ostfrankens zu einem frühfeudalen, selbständigen Staat. Konrad von Franken, seit 911 ostfränkischer König, gelang es nicht, das Land zu einen. Am 23. Dezember 918 starb Konrad. Da er die Schwäche des fränkischen Herzogtums erkannt hatte, designierte er vor seinem Tod den mit ihm verfeindeten Sachsenherzog Heinrich zum Thronfolger, der in Sachsen über eine außerordentlich starke ökonomische, militärische und politische Stellung verfügte. Das war eine für das Mittelalter historische Tat.
Konrads Bruder Eberhard von Franken ritt im Dezember 918 nach Sachsen, um Heinrich, dem Sachsenherzog, die königlichen Insignien als Zeichen seiner Königsdesignation zu überbringen. Der Sage nach traf Eberhard den ahnungslosen Heinrich am Finkenherd unterhalb des Quedlinburger Burgberges beim Vogelfang an. Jenen legendären Ort kann man noch heute in Quedlinburg besichtigen.
Realität ist, dass die Franken und Sachsen des sich stammesvereinenden Ostfrankenreiches im Mai 919 den etwa 43-jährigen Heinrich in Fitzlar zum König wählten. Die wichtigste Pfalz König Heinrichs I. und somit sein "gestifteter Lieblingsregierungssitz" wurde Quedlinburg.
Streben nach Einheit
Beginnend mit dem 10. Jahrhundert nahm die "Königsburg Quedlinburg" als Lieblingspfalz König Heinrichs I. und als bevorzugte "Osterpfalz" der Ottonen im Reich vor allem in der Geschichte des liudolfingischen Königshauses den ersten Rang ein. An ehrenvollen Bezeichnungen für diesen Ort, der mit der Thronbesteigung Heinrichs I. unversehens in den Brennpunkt der königlichen Regierungstätigkeit und Herrschaftspräsentation gerückt war, haben bereits die Zeitgenossen nicht gespart.
Von einem "LOCUS SUBLIMIS ET FAMOSUS, einer SEDES REGALIS im Reich der Sachsen" (Es gibt einen Ort im Königreich Sachsen mit Namen Quedlinburg, berühmt und erhaben durch die Ehre, ein Königssitz zu sein) spricht schon bald nach dem Tod Heinrichs I. bewundernd der anonyme Verfasser der "Miracula s. Wigberthi". Der Hersfelder Anonymus wusste, wovon er sprach. Hatte Quedlinburg doch wenige Jahrzehnte zuvor noch unter der Botmäßigkeit des hersfeldischen Wiperti-Klosters gestanden, als Pfarrort wie viele andere, bevor es zu Beginn des 10. Jahrhunderts in den Besitz der Liudolfinger gekommen und binnen kurzem zu großer Berühmtheit gelangt war. Heinrich I. hatte die alte "Quedlinburg" aus der Karolingerzeit bereits nach 919 zur Königspfalz ausbauen und 926 neu befestigen lassen.
Mit dem Umbau des ebenfalls aus der Karolingerzeit stammenden Edelhofes "Quitilinga" zum "Königshof" war schon vor 922 begonnen worden. Die Quedlinburger Pfalz umfasste zu Zeiten Heinrichs I. beinahe acht Hektar Fläche. Zur Pfalzanlage gehörten der befestigte Burgberg, die Vorburg (Bereiche des heutigen Westendorfes) als Versorgungsareal, sowie der königliche Hof im Tal. So war "Quedlinburg" zu Zeiten König Heinrichs I. ein Regierungssitz.
Quedlinburg war in der Geschichte unserer Nation nicht nur zum ersten Lieblingssitz eines deutschen Königs aufgestiegen. Sein herrschaftlicher Stifter, König Heinrich I., wurde als erster mächtiger und unumstrittener Herrscher über die sich vereinigenden deutschen Stämme, der Sachsen / Franken / Schwaben / Bayern und Lothringer, Gründer des mittelalterlichen Königreiches, des ersten Einheitsstaates unserer Nation. Das macht die "Königsstadt Quedlinburg" zur "geschichtlichen Wiege unserer Nation". Es war ein mittelalterliches Reich entstanden, das mit der königlichen Zentralherrschaft das Maß einer "Entwicklungs-Ordnung verbundener Territorien" bot. Die königliche Verpflichtung, "mit Gottes Gnade nach christlichen Grundsätzen" zu regieren, gab dem Herrschaftsbereich des ersten deutschen Königstums erneuerte römische Staatsgrundlagen.
Die Königsstadt
Urkundlich belegt ist, dass Heinrich I., "König von Gottes Gnaden" (HEINRICUS DIVINA FAVENTE CLEMENTIA REX), die Regierung zwischen dem 12. und 24. Mai 919 angetreten hat. Heinrich I. hatte zu Beginn seiner Regentschaft am 22. April 922 in der Siedlung Quedlinburg (in villa quae dicitur quitilingaburg) eine Schenkungsurkunde für das Kloster Corvey "vollzogen". Die villa quitilingaburg war als Diplom-Ausstellungsort der Königshof der königlichen Grundherrschaft Quedlinburg. Ihr unterstanden Verwaltungseinheiten, die Villikationen. Quedlinburg war durch seine urkundliche Erstnennung und das Monogramm König Heinrichs I. als "handelnder Ort" in die Geschichte eingetreten.
Seit 1922, dem 1 000. Jubiläum dieser urkundlichen Ersterwähnung, gilt diese Urkunde für den Ort Quedlinburg als "Geburtsurkunde" und König Heinrich I. als der Gründer der "Königsstadt Quedlinburg". Der lateinische Signum-Zeilen-Text "Signum domni Heinrici serenissimi regis" (Monogramm Heinrichs I., des hochberühmten Königs) der Urkunde enthält das königliche Monogramm, das von Heinrich I. eigenhändig mit dem Vollziehungsstrich beglaubigt wurde. (Bild oben links)
Die Quedlinburger Königsurkunde vom 22. April 922 ist das älteste er-halten gebliebene Diplom für einen ehemaligen königlichen Herrschersitz auf dem Gebiet unseres heutigen Sachsen-Anhalt und darüber hinaus für das einstige Herzogtum Sachsen (Gebiet zwischen Rhein und Saale). Hauptkennzeichen für die Echtheit der Urkunde ist das Wachssiegel mit dem Bildnis des Königs. Die Original-Urkunde befindet sich im nordrhein-westfälischen Staatsarchiv Münster. Sie ist unersetzlicher Bestandteil der 1819 von Freiherr vom und zum Stein be-gründeten bedeutendsten nationalen Sammlung aller mittelalterlichen Quellenschriften, zu der Urkunden zählen, der Monumenta Germaniae Historica (MGH, d. h.: Denkmäler deutscher Geschichte).
Reichsunteilbarkeit
Auch die Quedlinburger Königsurkunde Heinrichs I. vom 16. September 929 ist ein Zeugnis von nationalem Rang. 929 hatten sich am Königshof der Pfalzstadt Quedlinburg Adel und Klerus zum Hoftag versammelt. Entscheidungen zur Sicherung einer deutschen Einheit galt es zu treffen. 929, im zehnten Jahr seiner Herrschaft, hatte König Heinrich I. eine solche Einheit der Stammesverbände des ersten frühfeudalen deutschen Staates erreicht, dass er auf dem Hoftag in der Quedlinburger Pfalz die Zustimmung der maßgeblichen Vertreter des Adels erhielt, seinen Sohn Otto zum Nachfolger vorzuschlagen. Mit dieser Designation anstelle bisheriger "Teilung des Landeserbes" wurde das "Unteilbarkeitsprinzip des mittelalterlichen deutschen Reiches" entwickelt. Eine königliche "Quedlinburg-Entscheidung" von geschichtlicher Dimension auf dem Weg zur Festigung des römisch-deutschen Königtums.