Harz Harz: Wo einst Panzer schossen, weiden bald Bisons
Halberstadt/MZ. - "Unter jeden Quadratmeter Boden müssen wir gucken, was da drunter ist", sagen die Projekt-Manager Steffi Meister und Timo Brühl. Auf 38,75 Hektar Fläche soll dort bis zum Herbst ein Solarpark entstehen, wo einst kaiserliche Armee, Wehrmacht und die Gruppe der sowjetischen Streitkräfte Kasernen, Landebahnen, Munitionsdepots und Panzerhallen errichtet hatten. Siegrun Ruprecht vom Stadtplanungsamt freut sich, dass dieses geschundene, durch Munition und Altlasten verseuchte Gelände nun wieder genutzt werden soll: "Die Stadt erhält ein 100 Prozent kampfmittelfreies Stück Natur zurück."
Timo Brühl nennt es "suboptimal beräumt", was die juwi-Gruppe, die die Photovoltaikanlage errichtet, hier vorfand. Felix Wächter, der juwi-Pressesprecher, beziffert die Kosten für die Sanierung der Flächen in den kommenden vier Monaten auf etwa vier Millionen Euro. Geld, das nicht aus den öffentlichen Kassen kommt. Der Kampfmittelbeseitigungsdienst schätzt, dass etwa 3 000 000 Kubikmeter Erde bewegt werden müssen. Die ersten 38 Probeschürfungen, bei denen schon 500 Munitionsteile ausgebuddelt wurden, lassen die Vermutung aufkommen, dass es durchaus noch mehr Boden sein könnte, der auf gefährliche Spuren militärischer Nutzung untersucht wird.
Diese ernsthafte Herangehens-weise der Investoren spricht für die Seriosität der Planungen. Am Mittwoch fällt der offizielle Startschuss für die Arbeiten. Doch nicht etwa für das Setzen der ersten Tische für die etwa 85 000 Solarmodule. "Bis zum 29. Februar setzen wir drei Rotmilan-Horste um und bringen 15 Nist- sowie 30 Fledermauskästen an", so Timo Brühl. Steffi Meister verweist darauf, dass juwi bereits gute Erfahrungen mit Photovoltaikanlagen in sensiblen Naturgebieten besitze. Die Anlage sei in ein Landschaftspflegekonzept eingebettet. Nach Inbetriebnahme werden gefällte Bäume ersetzt, eine Streuobstwiese angelegt und eine Hecke gepflanzt, die die Bewohner der Klussiedlung vor Blendung schützt. Das Grünland, das sich den Boden unter den Solarpaneelen erobert, böte zudem Bodenbrütern beste Lebensbedingungen. Außerdem sollen Tritt-steinbiotope Amphibien eine Heimat schaffen.
Halberstadts Oberbürgermeister Andreas Henke (Die Linke) freut sich, dass in diesem Teil der Halberstädter Berge ein nachhaltiges Tourismuskonzept und erneuerbare Energie zueinander fanden.
Produziert das Sonnenkraftwerk am Rande von Halberstadt doch künftig knapp 20 Millionen Kilowattstunden sauberen Ökostrom, die bei den Halberstadtwerken eingespeist werden. "Damit können 5 700 Haushalte versorgt werden, also halb Halberstadt", so die Prognosen von juwi, eines der weltweit führenden Spezialisten für erneuerbare Energien. Dessen Vorstand Matthias Willenbacher verweist auf das Potenzial Halberstadts für die Photovoltaik auf Freiflächen. "Wir helfen, diese saubere Möglichkeit, Strom zu erzeugen, auszunutzen und damit in der Kommune einen Beitrag zur Energiewende zu leisten."
Doch die 40 Hektar, auf denen außerhalb des Landschaftsschutzgebietes die Sonne genutzt wird, umschließen 240 Hektar "Wilde Weiden". "Durch diese halboffenen Weiden gewinnen wir eine einzigartige Landschaftsstruktur zurück", erläutert Siegrun Ruprecht. "Die Mega-Herbivoren, also große Pflanzenfresser, beweiden das Gelände und sorgen durch ihren Verbiss dafür, dass fremde Pflanzen nicht die natürliche Vegetation überwuchern und verdrängen."
Auf 55 Hektar Fläche entsteht im ersten Schritt ein "Eingewöhnungsgehege", so Guido Schneider, der nach 20 Jahren in der Finanzbranche nun noch mal kräftig durchstarten will. Darin finden 17 bis 23 Bisons Platz, die bereits gekauft sind. Der Endbestand von bis zu 250 Tieren soll auf natürlichem Wege erreicht werden. Geschlachtet wird hier nach seinen Worten erstmals im Jahr 2017.
Was auf dem ehemaligen Gelände der Sowjetstreitkräfte und des Grenzregimentes "Martin Schwantes" nicht zu sehen sein wird, ist die geplante Wasserbüffel-Herde. Im Trinkwasserschutzgebiet darf die vier Hektar große Wasserfläche nicht entstehen. Entstehen werden jedoch eine Ausflugsgaststätte, ein Wildhüter-Haus sowie ein Wegenetz, das - wie die Solarflächen - der Kampfmittelräumdienst bis Juli säubert.