Harz Harz: Winter im Sommer
QUEDLINBURG/MZ. - Wer nicht rechtzeitig Schutz suchen konnte, der machte zum Teil schmerzhafte Bekanntschaft mit hühnereigroßen Hagelkörnern, die mit Wucht herabprasselten. Oberbürgermeister Eberhard Brecht war zum Zeitpunkt des Unwetters auf dem Weg nach Hause. Zum Glück habe er nur einen blauen Fleck an der Schulter davongetragen. Andere hätten weniger Glück gehabt, er habe mehrere Leute mit blutenden Platzwunden am Kopf gesehen. Zwei von ihnen suchten Hilfe in der Notaufnahme.
An der Westseite des Rathauses sind mehrere Scheiben zerschlagen worden, In der Einheitsgemeinde Quedlinburg sind zwischen 19.20 und 1 Uhr 54 Feuerwehrleute unterwegs gewesen, um auf 30 Notrufe zu reagieren. Bäume sind in der Weyhestraße, am Ritterangerweg sowie auf der L 243 Gernrode in Richtung Sternhaus umgestürzt. Der Klopstockweg war so verschlammt, dass mit einem Radlager die Erde abgetragen werden musste.
Quedlinburg zeigte sich am Donnerstag nach dem Unwetter buchstäblich als "grüne Stadt". Straßen und Wege waren zum Teil dick mit Laub und Ästen bedeckt. Privatleute und Mitarbeiter des Bauhofes werden wohl noch Tage zu tun haben, die Spuren zu beseitigen. Der stellvertretende Bauhofleiter Uwe Lilienthal geht davon aus, dass mindestens drei Tage notwendig sind, bis alles geschafft ist. Vor allem, weil die Kehrmaschine nicht überall eingesetzt werden kann. Das abgeschlagene Ast- und Blattwerk bereitet der Maschine erhebliche Probleme, weil der Saugstutzen schnell verstopft. Deshalb musste immer wieder der Besen ran. Ein Problem sind die Wassereinläufe, die von Laub, Schlamm und Ästen verstopft werden. Die Bauhof-Mitarbeiter mussten diese am Donnerstag so schnell wie möglich wieder frei bekommen und waren unter anderem in der Stresemannstraße, in der Wallstraße, am Gernröder Weg und im Harzweg im Einsatz. Der stellvertretende Bauhofleiter appelliert an die Bürger, das zusammengekehrte Laub nicht in die Gosse zu schieben. Dadurch würden die Einläufe der Kanäle erneut verstopft, zumal weiterer Regen für Freitag angekündigt ist.
"Das sieht ganz nach Totalschaden aus", urteilte Nico Arndt, Technischer Leiter der Mineralölgesellschaft Gulf, am Donnerstag in Thale. Das Unwetter am Abend zuvor hatte das etwa 120 Quadratmeter große Dach über dem Verkaufsraum der Gulf-Tankstelle in der Neinstedter Straße total zerfetzt. Das Regenwasser konnte ungehindert durch die Zwischendecke und an ihr vorbei in den Raum fließen. Auch am Donnerstagvormittag tropfte es noch an Leuchten und elektrischen Leitungen vorbei zu Boden. "Wir haben sicherheitshalber auf den Rat der Feuerwehr gehört und den Strom abgeschaltet. Trotzdem verkaufen wir weiter, eben nach Tante-Emma-Art. Autos können den Treibstoff allerdings momentan nur am Tankautomaten nachfüllen", sagte Mitarbeiterin Sieglinde Schulze. Sie hatte am Vorabend keinen Dienst gehabt, das Unwetter jedoch "hautnah" in ihrem jetzt etwas zerbeulten Auto miterlebt. "So etwas wie hier hatten wir noch nie", so Arndt. Er kennt aus der Praxis durch Sturm abgedeckte Dächer und Ähnliches, doch von Hagel verursachte Riesenlöcher in der Dachhaut sind für ihn neu. Wahrscheinlich müsse in Thale der Verkaufsraum komplett erneuert werden. Ob auch das Dach über den Zapfstellen ersetzt werden muss, sollen Gutachten klären. Schäden seien laut Arndt auf alle Fälle entstanden.
Die wurden auch von anderen Gewerbetreibenden an der Neinstedter Straße in Thale verzeichnet. Fuhrunternehmer Bernd Westphal beispielsweise muss etwa 500 Quadratmeter Wellblech-Dachfläche einer Lagerhalle des Unternehmens erneuern, die übrigens nur wenige Meter hinter der Gulf-Tankstelle liegt. "Das Dach sieht jetzt aus wie eine Siebanlage, Loch an Loch", versucht er trotzdem noch Humor zu wahren. Den Schaden schätzt Westphal auf mindestens 10 000 Euro.
Schäden in die zig Tausende haben die Geschäftsführer vor allem jener Autohäuser in Quedlinburg zu beklagen, die ihre Vorführ- und Ausstellungsmodelle im Freien stehen hatten. Beim Mitsubishi Autohaus Alhelm im Bicklingsbach: "Insgesamt 23 Autos wurden vom Hagel zerstört, Scheiben gingen aber nicht zu Bruch", sagte Jörg Keubler. Das ist dann ein Fall für die Versicherung. Aber solch eine Reparatur von beschädigten Autos mit bis zu 100 Dellen, wie es oft der Fall war, kann ins Geld gehen. Schon eine kleine Delle kostet zwischen 50 und 60 Euro.
Schlimm erwischt hatte es auch das Harz-Löwen Autohaus im Gewerbegebiet Groß Orden, wie der Chef Carlo Gottschalk bestätigte. "70 Fahrzeuge sind beschädigt, einige Frontscheiben zerschlagen." Versicherung und Gutachter waren am Donnerstag schon vor Ort, um die Schadenshöhe festzustellen.
Im Autohaus Quedac in der Westerhäuser Straße stand das Telefon seit dem Morgen nicht still, weil sich Kunden mit Hagelschäden an ihren Autos meldeten. Aber auch hier sind 30 Autos von dem Unwetter nicht verschont geblieben.