Harz Harz: Seit 64 Jahren Meister - und ein echtes Glückskind
halberstadt/MZ. - Er sei ein "Glückskind", sagt Kurt Gregor über sich. Wer den geistig regen 90-Jährigen trifft, nimmt ihm das ab. Er lebt in seiner eigenen Wohnung in der Halberstädter Bachstraße. Dorthin, wenige hundert Meter von seiner alten Wirkungsstätte in der Friedensstraße entfernt, ist er mit 79 Jahren gezogen. Auch wenn er bereits seit 61 Jahren in Halberstadt wohnt, seine sächsische Herkunft kann er nicht verleugnen. Am ersten Osterfeiertag 1922 geboren, kann er auf neun Lebensjahrzehnte zurückblicken. "Alles hat sich immer zum Guten gewandelt", sagt er.
Der Mann, über den Tochter Solveig sagt, halb Halberstadt trägt Trauringe, die er gemacht hat, sie, die Wahlberlinerin natürlich auch, wollte eigentlich gar nicht Goldschmied werden. "Am Dresdner Rathaus habe ich über dem Geländer gelehnt und habe die guten Düfte gerochen, die aus den Fenstern der Ratskeller-Küche quollen." Mit seiner Mutter ging er später hin und klopfte an die Tür, um den Chef zu bitten, ihn zum Koch auszubilden. Der, in Kurt Gregors Erinnerung ein Baum von Mann mit einer riesigen Kochmütze, sagte zum 13-Jährigen er sei für den Beruf zu schmächtig. "Man könne doch für mich keine Fußbank an den Herd stellen."
Schnuppern im Handwerk
Der Junge kannte sich im Handwerk schon aus. Seine Mutter machte für 25 Pfennig die Stunde bei einem Maler sauber, bei Tischler und Schuhmacher hatte er schon mal reingeschnuppert und ein paar Handgriffe gelernt. "Ich konnte ja schon was, also waren das für mich keine Berufe", erinnert er sich. Ein Schrebergarten-Nachbar seiner Eltern empfahl den Beruf des Goldschmiedes. "Goldschmied? Seine Mutter schüttelte den Kopf. Das einzige Gold in der Familie war ihr Ehering. Selbst sein Vater besaß keinen echten.
So fuhr Kurt mit einem Schulfreund in die Dresdner Innenstadt. "Wir sind in einen vornehmen Laden, wo Schmuck und Zuchtperlen zu sehen waren. Platz für mich als Lehrjungen gab es nicht. Aber ich bekam die Adresse eines Goldschmiedes an der Frauenkirche." Der hatte schon einen Lehrling, nahm ihn aber später doch. Am 1. April 1936, zwei Wochen vor seinem 14. Geburtstag, begann seine Lehre bei Goldschmiedemeister Karl Berger in Dresden. Bis 1939 lernte er, durch den Krieg hatte man die Lehrzeit von vier auf drei Jahre verkürzt. In seinem Arbeitsbuch liegt noch heute ein vergilbter Zettel mit der Skizze eines Armbandes, sein Gesellenstück. Und vielleicht gehörte zum Glückskind Gregor auch die Einberufung im Kriegsjahr 1942 nach Finnland. Als er in sein geliebtes, doch zerstörtes Dresden zurückkehrte, legte er 26-jährig vor der Handwerkskammer Sachsen am 27. September 1948 seine Prüfung zum Goldschmiedemeister ab. Als Meisterstück, verraten die säuberlich gesammelten Dokumente, legte er einen Ring vor. In der Mitte ein Amethyst, umrandet von Brillanten, die in Gold gefasst sind. Als kürzlich der Magdeburger Handwerkskammer-Präsident Werner Vesterling ihm den Diamantenen Meisterbrief überreichte, stellte er fest, dass dies eigentlich vier Jahre zu spät geschehe. "Sie haben zeitlebens mit Diamanten zu tun gehabt, nun kommt die Urkunde dazu." Dran gewesen wäre Kurt Gregor schon vor vier Jahren. Doch der nahm es gelassen. Schließlich sei er noch gut zurecht.
Mit dem Laufen werde es schon etwas schwieriger. "Das Pflaster vorm Haus bis zum Bäckerladen ist schlecht", fügt er schnell an. Wie fit er geistig ist, erlebt Tochter Solveig, die ihn jeden Tag um 9 Uhr aus Berlin anruft, wenn er ihr die aktuellen Nachrichten aus der Zeitung erzählt. "Früher lief das Radio den ganzen Tag in seiner Werkstatt", erinnert sich die Frau, die einst die Käthe-Kollwitz-Oberschule unweit der Wohnung in der Friedensstraße und später das heutige Martineum besuchte. Zum Abendbrot wurde er von seiner 1992 verstorbenen Frau und der Tochter gerufen.
Dann ging es weiter. "Selbst Heiligabend gab es erst 22 Uhr Bescherung, weil er solange in der heimischen Werkstatt zu tun hatte", erinnert sich Solveig Herbell. 1951 folgte Kurt Gregor einer Zeitungsanzeige nach Halberstadt. Die Uhrenfabrik Kiesel suchte einen Meister für ihre Schmuckabteilung. So arbeitete er später bei Wimefa. 1952 zog seine Familie, Ehefrau und Tochter ihm in die Domstadt nach. "Meine Mutter hat mir noch viele Jahre erzählt, wie entsetzt sie war, als wir auf dem Halberstädter Bahnhof ankamen. Wir zogen aus einer zerbombten Stadt in die andere."
Als die Schmuckabteilung seines Betriebes dicht gemacht wurde, wollte er sich als Goldschmiedemeister niederlassen. "Mir gab jemand den Tipp, dass Frau Römmer von der gleichnamigen Goldschmiede noch Werkzeug ihres im Krieg gebliebenen Sohnes besaß." Erst in der Wohnung in "Kattowitz", wie die Region nahe der alten Junkerswerke hieß, und später in der Halberstädter Friedensstraße 14, 1. Etage, schuf Kurt Gregor Eheringe und Broschen, weitete Ringe und lötete zerrissene Goldketten. In einem kleinen, festen Karton bewahrt Gregor in seinem Wohnzimmer ganz besondere Fotos auf. Alle zeigen in Schwarz-Weiß seine wertvollen Arbeiten. "Die Leute standen Schlange, die Wartezeiten zählten bei Neuanfertigungen nach Monaten. Doch die Halberstädter wussten, der Gregor macht was Anständiges."
Diebesgut geschätzt
Auch wenn er für die Meisterstunde nur 1,78 DDR-Mark einnehmen durfte. Gregor, der stellvertretender Obermeister der Goldschmiede war, rief man aber auch, wenn Wertgutachten benötigt wurden oder Diebesgut zu schätzen war. In seiner "Wohnungswerkstatt" bildete er über die Jahre Lehrlinge aus. "Peter Roberts, der Vater des heutigen Goldschmiedemeisters Roberts, zählt dazu", erinnert sich Kurt Gregor. "An der Reparatur einer Reliquie im Domschatz beteiligte man mich, und für die Geistlichen von der Huysburg habe ich manchen Stein gefasst." DDR-typisch erscheint ein Auftrag, der wenig mit Gold zu tun hatte. "Ich besaß ja die entsprechende Technik. So habe ich für das Krankenhaus-Labor die stumpf gewordenen Spritzennadeln angeschliffen."
1974 trug das Amt für Erfindungs- und Patentwesen sein "KG" als Warenzeichen ein. "Aber das habe ich schon seit meiner Lehre verwendet." Ein bisschen stolz ist der dreifache Urgroßvater, dass ein Enkel in seine Fußstapfen trat. Doch er weiß, wie schwer es ist, mit diesem ehrenwerten Handwerksberuf eine Familie zu ernähren.