Harz Harz: Die Sprach-Laborratte
halberstadt/MZ. - Szenenapplaus gab es und die selbst bei Durchschnittsleistungen üblichen Standing Ovations, wobei diese Musical-Inszenierung deutlich besser als Mittelmaß ist. "My Fair Lady" ist im doppelten Sinne im Harz angekommen. Klaus Seiffert führt mit seinem Team das Ensemble zu einer soliden, im Vergleich zu den Vorinszenierungen künstlerisch zwar wenig überraschenden Aufführung, die aber daheim ebenso punkten kann wie auf Abstechern oder im Bergtheater Thale. Eine tiefe Verbeugung vor diesem Kraftakt von singenden Schauspielern, schauspielenden Sängern und bestens aufgelegtem Ballett-Ensemble, das galant tanzt und immer wieder die Bühne beräumt. Die musikalische Leitung der Inszenierung obliegt Symeon Ioannidis, der auf straffe Tempi setzt und sich auf sein profiliert aufspielendes Orchester verlassen kann.
Witz und schöne Bilder
Seiffert folgt dabei der Vorlage von Frederick Loewe nach dem "Pygmalion"-Text von George Bernard Shaw und setzt sie durchaus mit Witz und schönen Bildern um. Am Erlebnis fürs Auge hat Ausstatterin Barbara Krott mit interessanten Bühnenlösungen ihren Anteil. Markant die Buchstaben-Leuchttafel, aus der einem Rätsel gleich immer neue Buchstabenkombinationen für Situationen und Handlungsorte aufblitzen.
Die Mutter aller deutschsprachigen Musicals erlebte das Publikum als spartenübergreifende Produktion, in der sich in den Hauptrollen die musikalisch familiär vorbelastete Julia Siebenschuh ebenso beachtlich schlug wie Arnold Hofheinz als renommierter Philologe und Phonetiker Higgins. Der will aus dem sprachlich wüst agierenden Blumenmädchen eine Dame von Welt machen. Was ihm letztlich gelingt. Dazwischen reihen sich Evergreens wie "Es grünt so grün", die darstellerisch etwas champagnerschaumgebremste Ascott-Gavotte oder "Hei, heute morgen mach' ich Hochzeit" mit dem immer wieder komischen Norbert Zilz. Der nimmt mit seinen Suffbrüdern Harry (Thomas Kiunke) und Jamie (Helmut Müller) als Müllmann Alfred P. Doolittle das Publikum für sich ein.
Die Inszenierung lebt durchaus von vielen kleinen darstellerischen Facetten. Chor und Ballett gelingt es, die Bühne mit Londoner Leben zu füllen, ob am Fruchtmarkt oder beim Pferderennen. Dazu kommt ein Frauen-Trio, aus dem die Grand Dame des Hauses Edith Jeschke als Mrs. Higgins, Mutter des junggesellen-vertrottelten Professors, hervorsticht. Während Marlies Sturm die Mutti des um Eliza buhlenden Freddy spielt, obliegt es Thea Rein, das Haus des Professors und den Aufenthalt seiner Sprachschülerin zu managen. Drei Power-Frauen aus dem Musiktheater-Ensemble, denen bereits in der Metzger-Inszenierung vor einigen Jahren Kränze gewunden wurden. Szenenapplaus gab es auch für Tobias Amadeus Schöner, der trotz seines Hits "In der Straße, mein Schatz, wo du lebst", bei der angeschmachteten Eliza nicht punkten kann.
Jargon und Anspruch
Doch im Mittelpunkt steht das Blumenmädchen aus der Gosse, das gelegentlich unter Tränen zu einer Frau von Welt erblüht. Julia Siebenschuh lebt diese Rolle, spielstark und mit verkannten Gefühlen, erzkomödiantisch und gesanglich bestens aufgelegt; als freche Göre mit Berlin-brandenburgischem Straßen-Jargon ebenso wie mit damenhaftem Anspruch. Doch Elizas Sprachlehrer Professor Higgins sieht in ihr eher die Laborratte, deren Sprach-Dressur ihn eine Wette mit Oberst Pickering (Ingo Wasikowski) gewinnen lässt. Arnold Hofheinz, der mit Eliza erbarmungslos das Sprachlernprogramm durchpaukt, vermag die Wandlung von Frost-Emotionen über Zweifel hin zu unerklärlichen Gefühlen sehr gut nachzuzeichnen. Gesanglich wirkt er ebenso souverän wie seine "Schülerin".
Zum Happy-end nimmt der Regisseur Anleihe bei Tucholsky: "Es wird nach einem happy end im Film jewöhnlich abjeblendt". Doch das sieht man in Halberstadt nicht. Eliza greift zur Sektflasche, der Vorhang fällt. Hat sie oder hat sie nicht?
Nächste Vorstellungen: 13., 16., 18., 26. und 28. Mai sowie ab 9. Juni im Bergtheater Thale