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Ost-West-Debatten Gregor Gysi über die Deutsche Einheit und Ost-West-Debatten: Wir sind noch nicht dort, wo wir sein müssten

23.03.2019, 13:58
Gregor Gysi ist einer der prominentesten Vertreter der Linken in Deutschland.
Gregor Gysi ist einer der prominentesten Vertreter der Linken in Deutschland. ZB

Quedlinburg - Gregor Gysi hat linke Politik in Deutschland geprägt wie kaum jemand. Am Donnerstag, 28. März, um 18.30 Uhr ist der Rechtsanwalt, Politiker und Autor zu Gast in Quedlinburger Kaiserhof. Im Gespräch mit dem Journalisten Hans-Dieter Schütt stellt Gysi seine Autobiografie „Ein Leben ist zu wenig“ vor. Die MZ sprach mit ihm über Familie, Lebensentscheidungen und das Verhältnis zwischen Ost und West. Das Gespräch führte Katrin Schröder.

Herr Gysi, Sie eröffnen den Quedlinburger Bücherfrühling mit einem Gespräch über Ihre Autobiographie „Ein Leben ist zu wenig“. Warum wollten Sie Ihr Leben niederschreiben?
Gregor Gysi: Weiß ich auch nicht. Aber ich dachte, dass es auf bestimmte Art ein atypisches Leben ist, das interessieren könnte. Ich weiß, dass Fußballer und andere Stars gern mit 22 ihre Autobiographie schreiben. Ich aber dachte, in meinem Alter ist es besser.

Haben Sie für das Buch recherchiert, oder konnten Sie sich an alles erinnern?
Gysi:  Ohne Recherche hätte ich nicht so tief in die Familiengeschichte einsteigen können. Meine Schwester Gabriele hat mir sehr dabei geholfen und regelrechte Ahnenforschung betrieben. Dabei ist für mich auch viel Überraschendes herausgekommen, zum Beispiel, dass ich auch mit Robert Oettl, dem Begründer der Rassegeflügelzucht in Deutschland, verwandt bin.

Ausführlich widmen Sie sich Ihrer Familiengeschichte, die sehr bunt und bewegt ist. Gibt es einen unter Ihren zahlreichen Verwandten, die Sie beschreiben, dem Sie sich besonders nahe fühlen?
Gysi:  Nahe fühlt man sich ja den Menschen, die man wirklich kennt und selbst erlebt hat, also meinen Eltern, meiner Schwester. Besonders hervorheben möchte ich aber die Frau, die wir alle Schätzi genannt haben, weil sie wirklich ein besonderer Mensch war. Sie hat sich bei uns um Haushalt und die Kinder gekümmert und war eine der prägenden Persönlichkeiten meiner Kindheit.

Warum wollten Sie Rechtsanwalt werden?
Gysi:  Die besonderen Vorteile dieses Berufes ahnte ich, als ich begann, Jura zu studieren. Es war in der DDR ein Nischenberuf, denn ich musste Gerichten, Staatsanwälten und anderen widersprechen. Das gefiel mir. Als Richter hätte ich ständig über Urteile entscheiden und als Staatsanwalt Anklagen erheben müssen. Das Verteidigen, die Lücken in der Argumentation der Anklage finden, lag mir deutlich mehr.

Welche Spielräume bot das Rechtssystem der DDR? Und was sagen Sie denjenigen, die die DDR als „Unrechtsstaat“ bezeichnen?
Gysi:  Die Spielräume wurden größer, je länger die DDR bestand. Es fand eine Verrechtlichung statt, von der am Ende nur die Prozesse ausgenommen waren, in denen es nach Auffassung der Partei um politische Machtfragen ging.

Aber selbst da konnte man für Mandanten etwas erreichen, wenn man der Parteiführung nahebringen konnte, dass dies auch in ihrem Interesse war. Die DDR war zweifellos kein Rechtsstaat, aber sie deshalb einfach mit dem Gegenbegriff Unrechtsstaat zu belegen, ist mir zu einfach.

Es gab zum Teil grobes Unrecht, aber eben auch ein Arbeits- und Familienrecht, das durchaus Bestand hat. Das differenzierte Leben in der DDR passt nicht unter so ein Schlagwort.

Sie sind in der Wendezeit zum Gesicht der ehemaligen Staatspartei geworden und prägten maßgeblich Ihre Transformation. Was war die schwerste Hürde auf diesem Weg?
Gysi:  Rückblickend war die schwerste Hürde die Rolle als Parteivorsitzender. Das würde ich heute mit dem Wissen, welcher Hass mir entgegenschlug und wie groß die Aufgabe war, quasi einen Staat abzuwickeln, wohl nicht noch einmal machen. Aber dass es heute eine bundesweit agierende und akzeptierte Linke gibt, zeigt doch, dass die Mühe nicht vergebens war.

Wie beurteilen Sie heutige Ost-West-Debatten? Was hat sich gegenüber den 1990er Jahren verändert? Sehen Sie weiterhin eine Abwertung ostdeutscher Perspektiven im vereinten Deutschland?
Gysi:  Wir sind noch nicht dort, wo wir eigentlich längst sein müssten. Es gibt nach wie vor noch niedrigere Löhne im Osten bei zum Teil längerer Arbeitszeit, es gibt noch immer nicht gleiche Renten für die gleiche Lebensleistung.

Als ich neulich im Bundestag eine Ost-Quote für Führungspositionen in Bundesbehörden forderte, meinte der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, dass dies ins Elend führe. Aber von 120 Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleitern in den Bundesministerien kommen drei aus dem Osten. Und das 30 Jahre nach dem Mauerfall.

Das müssen wir doch nun endlich ändern, nicht nur, aber auch, weil dies sogar das Grundgesetz verlangt. Aber, das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen ist endlich und wahrnehmbar gestiegen.
Gysi:  Ihr Buch heißt: Ein Leben ist zu wenig. Welches Leben ist Ihnen derzeit das liebste?

Ich schrieb ja, dass ich fest entschlossen bin, das Alter zu genießen. Wenn ich in meinen Terminkalender schaue, stelle ich fest, dass dieses Leben offensichtlich noch nicht begonnen hat. Also daran muss ich noch arbeiten, aber ich bin mit meinem aktuellen Leben in vier Berufen, also Politiker, Anwalt, Autor und Moderator, ganz zufrieden.

Wann waren Sie das letzte Mal in Quedlinburg und im Harz?
Gysi:  In Quedlinburg war ich zuletzt im Juni 2017, ist also noch gar nicht so lange her. Und bevor ich in Quedlinburg mein Buch vorstelle, habe ich schon eine Veranstaltung in Goslar, Anfang April bin ich in Osterode.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Halten Sie sich selbst für eitel? Und wenn ja: Ist das schlimm?
Gysi:  Jede und jeder, die oder der in der ersten Reihe Politik macht, ist eitel. Entscheidend ist, ob man die Eitelkeit beherrscht oder sich von ihr beherrschen lässt. Ich glaube, ich habe ersteres ganz gut hinbekommen und hatte Freunde, die mich darauf hinwiesen, wenn mir das mal nicht so gelang. (mz)