Gernröder Sportspielleute Gernröder Sportspielleute: Graßmann übergibt Führungsstab

Gernrode/MZ - Als ihn sein Vater mit acht zu den Sportspielleuten mitnehmen wollte, hatte Thomas Graßmann keinen Bock. Als Handballer Musik im Spielmannszug machen, darauf hatte er keine Lust. Doch zwei Jahre später war es so weit. Thomas Graßmann wurde wie der Vater Flötist und verlor sein Herz bei den Spielleuten.
Seit 2001 war das Organisationstalent Abteilungsleiter beim SV Germania Gernrode. Nun übergab der 44-Jährige dieses Ehrenamt an Christin Rössing. Zeit für eine Zwischenbilanz, denn Graßmann hängt die Flöte noch lange nicht an den Nagel. Er will angesichts wachsender beruflicher Aufgaben und der gewachsenen Familie nur etwas ruhiger treten.
Trauminstrument Saxophon
Über 30 Jahre bei den Spielleuten des SV Germania Gernrode haben Spuren hinterlassen. Graßmann nennt viele schöne Erlebnisse, die er in der verschworenen Gemeinschaft hatte. 1980 kam er also in den zwei Jahre zuvor gegründeten Nachwuchsspielmannszug, in dem seine Schwester schon die Lyra spielte. Warum er ausgerechnet Flöter wurde, kann Graßmann nicht mehr sagen. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals Trommel spielen wollte“, meinte er mit Blick auf das Gepäck beim Reisen und Lastenverhältnisse beim Marschieren. Es lag wohl daran, dass Vater Eckhard Graßmann Flöter war. „Meine Freunde waren auch Flöter.“ Sein Trauminstrument sei das Saxophon. „Das wollte ich immer mal lernen“, gesteht er mit Zweifeln, ob ihm das je gelingt.
Wenn Graßmann, den alle nur Grassi rufen, zurückdenkt, dann fallen ihm Aufstiegsturniere ein - die Gernröder spielten damals in einer Art 2. Bundesliga vorn mit - und die Turn- und Sportfeste 1983 und 1987 in Leipzig. Im Vorfeld wurde drei Wochen im Trainingslager in Dessau und an der Ostsee zusammen mit anderen Spielleuten trainiert und am Ende vor jeweils 100 000 Zuschauern im Leipziger Zentralstadion gespielt. „Das war der Hammer. Leipzig war eine ganz andere Welt. Wer da sein Herzblut verloren hat, der ist dabei geblieben.“ Die prägenden Erlebnisse haben die Truppe zusammengeschweißt. Die Freundschaften, die damals entstanden, halten bis heute. Auch wenn jemand wegzog oder ausstieg. „Der Spielmannszug ist mein Leben“, bekennt Graßmann.
2001 ein Neuanfang
Als nach der Wende plötzlich nur noch zehn Mann beim Training waren, schlossen sich die Gernröder 1993 mit dem Quedlinburger Mädchenspielmannszug zur Spielleutegemeinschaft zusammen. Die Entscheidung war überlebensnotwendig, denkt Graßmann, auch wenn es später zum Zerwürfnis kam und 2001 zu einem Neuanfang mit ihm an der Spitze. Graßmann ging das Problem mit dem fehlenden Nachwuchs an und baute mit seinen Mitstreitern wieder einen Nachwuchsspielmannszug auf. Die kontinuierliche Arbeit zeigte Früchte. Als wichtigsten Höhepunkt nennt Graßmann nicht den Landesmeistertitel der Erwachsenen 2012. „Da wussten wir, dass wir es schaffen konnten.“ Er nennt die erste Medaille für den Nachwuchs, der 2008 in Stecklenberg Silber gewann. Und fast auf gleicher Höhe nennt er auch die erste Medaille bei den Erwachsenen 2010.
Thomas Graßmann will die Erfolge aber nicht auf seiner persönlichen Fahne sehen. Um das Musikalische kümmern sich andere. „Ich habe denen immer vertraut“, sagte er mit Blick auf die neuen harten Trommeln, bei denen Skeptiker eine Entwicklung zur Marching-Band fürchteten, die aber heute viele andere Spielmannszüge auch spielen. „Wir waren am Ende Vorreiter. Also alles richtig gemacht.“
Ein 100-Prozent-Hobby
Graßmann kümmerte sich als Abteilungsleiter um die Organisation, um Auftritte, neue Instrumente, Sponsoren und Fördergelder und die Kommunikation. Er pflegte die Internetseite, informierte per E-Mail, in Facebook- und Whats-App-Gruppen und kann es nicht verstehen, wenn da immer noch jemand einen Termin verpasste. „Das ist ein 100-Prozent-Hobby“, unterstreicht er seine Ansicht, dass die ständige Trainingsteilnahme eine Selbstverständlichkeit ist und Leitungsmitglieder sogar 120 Prozent geben müssen, ohne einen Dank erwarten zu können. Von den Mitgliedern erwartet er, dass die sich auch zu den Auftritten bewegen.
Seine Ehefrau hat Graßmann bislang immer den Rücken frei gehalten. Natürlich sei auch sie in einem Spielmannszug groß geworden. Allerdings in Potsdam. Vor 17 Jahren lernte Graßmann die „überzeugte Trommlerin“ in Bernburg bei einer Landesmeisterschaft im Partyzelt kennen. „Ich heiße Thomas aber eigentlich möchte ich Marius heißen“, erinnert er sich noch heute lachend daran, wie er sich als Fan von Marius Müller-Westernhagen vorstellte. Sieben Jahre unterhielten sie eine Wochenendbeziehung, dann ließ sie für ihn alles liegen und zog in die Provinz. Am Anfang bildete sie auch den Nachwuchs mit aus, aber nach dem ersten von inzwischen zwei Kindern (2 und 8) blieb sie zu Hause. Die große Tochter habe zwar auch schon eine Flöte, aber zum Training konnte der Vater sie nicht überreden.
Die Jüngeren sind so weit
Der Rücktritt war eine Bauchentscheidung. Als die kleine Tochter krank war, und viel Arbeit im Job wie im Hobby - phasenweise jeden Abend Spielmannszug - dazukamen, sah er seine Grenzen erreicht. Thomas Graßmann arbeitet in einem IT-Unternehmen in Blankenburg. In einer Wachstumsphase ist er da jetzt stark gefordert.
„Die Jungen sind jetzt so weit und sie wollen das“, hatte Graßmann erkannt. Mit Christin Rössing fand er eine mutige Nachfolgerin. Sie habe ein Team, das funktioniert, weiß er. Nach der Europameisterschaft in Rastede könnten die Spielleute 2015 erstmals an einer Weltmeisterschaft teilnehmen. Der Arbeitsumfang zur Vorbereitung wird wieder groß sein.