Geballte Geschichte im Fußboden Geballte Geschichte im Fußboden: Kopfnischengräber und Pfeilerfundamente

Quedlinburg - Um später einen neuen Fußboden im Haus Münzenberg 5 aufbauen zu können, haben Paula Reichenbach, Jannik Thielecke und Florian Thieme zunächst einmal die alten Schichten ausgeräumt. Und dabei Spannendes entdeckt.
So fanden die drei Jugendlichen, die gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Denkmalpflege in der Jugendbauhütte Quedlinburg absolvieren und mit ihrem Anleiter Andreas Schael im Münzenberg 5 arbeiten, nicht nur ein kunstvoll bearbeitetes Knochenstück und zwei Kopfnischengräber, sondern auch alten Estrich und Pfeilerfundamente, die einen weiteren Einblick in die Baugeschichte des im 10. Jahrhundert gegründeten Klosters St. Marien auf dem Münzenberg geben.
„Das hat uns auf die Idee gebracht, dass man hier doch mal gucken müsste“
Etwa zehn Zentimeter lang und 1,5 Zentimeter breit ist die Beinarbeit mit Flechtbandornamentik, die zunächst im Boden entdeckt wurde und inzwischen beim Landesamt für Denkmalpflege zur näheren Untersuchung ist, wie Andreas Schael berichtet. „Das Rohstück war vorgefertigt, um dann als Zierelement beispielsweise auf einem Buch zu landen“, beschreibt er und nennt es einen „schon recht spektakulären Fund“ vermutlich aus der Bauzeit eines zum Kloster gehörenden Gebäudes.
„Das hat uns auf die Idee gebracht, dass man hier doch mal gucken müsste“, sagt Oliver Schlegel, Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde beim Landkreis Harz.
Kopfnischengräber sind vom ausgehenden 10. bis zum frühen 12. Jahrhundert in ganz Mitteleuropa typisch gewesen
Und der Aufmerksamkeit der im Münzenberg 5 tätigen FSJ-Gruppe, die auch die Grabungsarbeiten durchgeführt hat, sei es zu verdanken, dass nun auf etwa 30 Quadratmetern „geballte Geschichte im Untergrund“ dokumentiert werden könne.
Dazu gehören die Kopfnischengräber. Diese gebe es bei mittelalterlichen Kirchen immer, sagt Oliver Schlegel. Solche Kopfnischengräber - einige sind auch im heutigen Münzenbergmuseum unter Plexiglas zu sehen - seien vom ausgehenden 10. bis zum frühen 12. Jahrhundert in ganz Mitteleuropa typisch gewesen.
Dass in einem der jetzt entdeckten nur ein Kopf liegt, in dem anderen ein Unterschenkelpaar „in situ“ und weitere Knochen durcheinander, ist nicht ungewöhnlich: Es könne gut sein, dass man es hier mit mehreren Individuen zu tun habe, so der Kreisarchäologe. Umbettungen seien früher üblich gewesen, und „hier wurde über 500 Jahre bestattet auf engstem Raum“.
An der Kirche bestattet zu werden war ein Privileg
Das Privileg, direkt an der Kirche bestattet zu werden, erwarben sich Leute, die der Kirche beispielsweise eine Reliquie gestiftet haben, ergänzt Andreas Schael.
Hier, im Boden des Hauses Münzenberg 5, das zur Hälfte auf den Gewölben und in den Mauern der ehemaligen ottonischen St.-Marien-Kirche steht, wurden aber nicht nur Gräber gefunden, „sondern auch Bauphasen, die die Gräber stören“, erklärt Oliver Schlegel. So reicht beispielsweise Mauerwerk bis direkt in den Bereich eines der Gräber hinein.
Diese Gräber sind daher vermutlich älter als die jetzt entdeckten baulichen Reste, erklärt Oliver Schlegel. Und die könnten „der erste bauliche Rest eines Kreuzganges sein“, sagt der Kreisarchäologe. Darauf würde die regelmäßige Anordnung der entdeckten Pfeilerfundamente hinweisen.
„Das ist der erste sichere Befund der klosterzeitlichen Bebauung außerhalb des Kirchengrundrisses, das, was wir immer erwartet, vermutet haben“, erläutert Oliver Schlegel. Denn die ganzen zivilen Nebengebäude des Klosters wie beispielsweise ein Refektorium - ein Speisesaal - oder Kreuzgänge hätten bislang nicht erfasst werden können.
Zeitliche Einordnung erfolgt
Wann dieser Kreuzgang entstanden sei, müsse noch eingeordnet werden. Momentan umfasst die Spanne die Zeit vom späten 10. bis frühen 16. Jahrhundert; wie alle anderen Klosterstandorte in Quedlinburg sei auch der Münzenberg nach den Bauernaufständen aufgegeben und geplündert worden. Auf, mit und in den Resten des Klosters entstanden dann einfache Fachwerkhäuser.
Nach der Wende sei auf dem Münzenberg vieles ohne eine Beteiligung der Behörden passiert, sagt Oliver Schlegel. Beim Haus Münzenberg 5 sei das anders: Bauherr ist hier die Deutsche Stiftung Denkmalschutz.
Und mit diesem Bauprojekt wird fortgesetzt, was Dorothea und Siegfried Behrens 1994 begannen: Sie kauften auf den Ruinen der ehemaligen Klosterkirche entstandene Häuser, brachten so Teile der Kirche wieder zusammen und machten sie dann mit Hilfe eines Vereins als Museum zugänglich.
2006 brachten sie ihre Häuser in die von ihnen gegründete Stiftung Klosterkirche St. Marien auf dem Münzenberg innerhalb der Deutschen Stiftung Denkmalschutz ein. Dank der Ernst-Ritter-Stiftung in der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die das Gebäude kaufte und Spenden für die Arbeiten sammelt, kommt nun auch der Münzenberg 5 dazu. Joche des Westbaus der Kirche werden dem Museum St. Marien hinzugefügt, das Wohnhaus wird saniert.
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Spenden und Zustiftungen sind möglich an die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Ernst Ritter-Stiftung, IBAN: DE60 3708 0040 0263 6049 03 (mz)


