1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Quedlinburg
  6. >
  7. Fleischerei Oswald: Fleischerei Oswald: Unternehmen aus dem Harz feiert 100-jähriges Bestehen

Fleischerei Oswald Fleischerei Oswald: Unternehmen aus dem Harz feiert 100-jähriges Bestehen

Von Kjell Sonnemann 01.04.2019, 06:24
Nachdem Torsten Galuba (l.) die Rohwurst in den Kranzdarm gefüllt hat, verschließt Mathias Vogeley die Rohwurstringe.
Nachdem Torsten Galuba (l.) die Rohwurst in den Kranzdarm gefüllt hat, verschließt Mathias Vogeley die Rohwurstringe. Marco Junghans

Quedlinburg - Wenn sich die meisten Menschen im Bett noch einmal umdrehen, brennt im Schlachthaus der Fleischerei Oswald schon Licht: Inhaber Sven Matthes und seine beiden Mitarbeiter beginnen um 5 Uhr morgens mit der Arbeit, nachdem das frische Fleisch angeliefert wurde.

Sie zerlegen professionell die Schweinehälften, entfernen mit einer Maschine die Schwarte und verarbeiten Fleisch und duftende Gewürze beispielsweise zu den sechs Sorten Leberwurst, die später im Laden an der Heiligegeiststraße in Quedlinburg angeboten werden.

Fleischerei Oswald: Urgroßmutter brachte den Betrieb durch den Krieg

Dass der Familienbetrieb am 1. April seinen 100. Geburtstag feiern kann, liegt unter anderem an Sven Matthes’ Urgroßmutter Frieda Oswald.

Ihr Mann Karl hatte die Fleischerei 1919 gegründet, nachdem er aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause nach Quedlinburg gekommen war; nur 16 Jahre danach starb er.

Frieda Oswald brachte die Fleischerei alleine durch den Zweiten Weltkrieg.

Zu der Zeit konnten die Nachbarn beobachten, wie ein Schwein in einem Karren transportiert wurde, den eine kräftige Dogge durch die Straßen zog.

Der Laden, in dem bereits Verkäuferinnen ausgebildet wurden, befand sich damals im Neuen Weg. Frieda Oswald leitete den Betrieb bis sie 73 Jahre alt war: 1968 übernahmen ihr Enkel Gerd Matthes und seine Frau Erika.

Fleischerei Oswald: Schikane zu DDR-Zeiten

Doch auch das Ehepaar hatte keinen leichten Stand. „Zu DDR-Zeiten gab es viel Schikane; man bekam keine Leute, kein Fleisch, keine Maschinen“, berichtet ihr Sohn Sven Matthes.

Private Firmen waren nicht gerne gesehen, „wir sollten unbedingt zur PGH werden“, erinnert sich Erika Matthes. Nur weil die Fleischerei Oswald zum Bezirk Halle gehörte, durfte sie eigenständig bleiben.

Fleischer und Bäcker aus dem Magdeburger Bezirk wurden hingegen zu Produktionsgenossenschaften.

Fleischerei Oswald: Vorgaben vom Staat

Wie die Familie zu produzieren hatte, gab der Staat vor, ebenso die Preise. Dazu musste das Gewicht von Fleisch und Wurst genau per Dezimalwaage abgewogen werden.

„Mathematik war das Wichtigste im Verkauf“, sagt Erika Matthes. Ihr Mann Gerd - er sollte eigentlich Lehrer werden - berichtet, wie die Produkte damals hergestellt wurden: Mit einem Transmissionsgetriebe und über Riemen wurden Fleischwolf, Kutter und Knochensäge angetrieben. Die Maschinen waren aus Gusseisen, sie mussten jedes Jahr entrostet und mit Ölfarbe lackiert werden.

Fleischerei Oswald: Investitionen nach der Wende

Nach der Wende investierte die Familie unter anderem in eine neue Kühlung, die jetzt mit Wechselstrom lief, und in einen Tresen. „Wir wollten unsere Waren in der Auslage zeigen“, so Erika Matthes.

Sie gehört zu den sechs Frauen im Verkauf, die nebenbei belegte Brötchen für kalte Platten schmieren.

Hätte es die Wende nicht gegeben, hätte Sven Matthes seinen Beruf nicht gewechselt und den Familienbetrieb 2007 übernommen - die Fleischerei Oswald wäre sicherlich schon geschlossen.

„Ich bin eigentlich Elektriker“, erklärt er. Bis Oktober 1989 war er bei der Armee und beim Mauerfall wieder zu Hause.

Wegen der neuen Perspektive für den Privatbetrieb erlernte er den Beruf des Fleischers in Clausthal-Zellerfeld und machte 1995 seinen Meister in Landshut, wo er der Beste seines Jahrgangs war.

Ein Jahr später kauften seine Frau und er die ehemalige Broiler-Bar in der Heiligegeiststraße, der Verkaufsraum wurde nach einigen Umbauten dorthin verlegt. Weil die Gebäude an der alten und der neuen Adresse im Hinterhof nebeneinander liegen, schaffte Sven Matthes einen Durchgang und vergrößerte den Betrieb.

Fleischerei Oswald: Noch die klassische Variante

Doch ein Schmuckstück blieb unberührt: der alte Räucherofen, der mit Holzspänen unter anderem dem Schinkenspeck seinen Geschmack gibt. Eine neue Anlage mit Flüssigrauch steht daneben, doch Sven Matthes setzt bei bestimmten Waren auf die klassische Variante.

Übrigens produziert die Fleischerei besondere Köstlichkeiten auch für andere: Whiskey-Salami und die Bratwurst „Harzer Fichteln“. (mz)

Sven Matthes bringt die fertige Wurst in den Kühlraum.
Sven Matthes bringt die fertige Wurst in den Kühlraum.
Junghans