MDR-Doku mit Wolfgang Stumph Dreharbeiten Quedlinburg MDR-Doku: Apothekerin Katrin Riemay schildert Wolfgang Stumph ihre Flucht aus DDR

Quedlinburg - Mit einem Tablet-Computer in der Hand betritt Wolfgang Stumph die Adler- und Ratsapotheke in der Quedlinburger Innenstadt. Darauf zu sehen ist ein Foto aus dem Jahr 1990:
Eine junge Frau steht mit ausgebreiteten Armen auf dem Brocken im Harz. Das Bild ist mit „Frei!“ untertitelt. „Sind Sie das?“, fragt der Schauspieler und Kabarettist.
Apothekeninhaberin Katrin Riemay (49) erkennt sich wieder und erzählt ihm ihre Geschichte vor der Wiedervereinigung: von ihrer Flucht als 19-Jährige aus der Deutschen Demokratischen Republik über die Prager Botschaft bis nach Westdeutschland.
Wolfgang Stumph ist mit einem Kamerateam nach Quedlinburg gekommen
Dafür ist Wolfgang Stumph (73) mit einem Kamerateam nach Quedlinburg gekommen. „Wir sind in unserem vierten Dokumentarfilm für den MDR auf Spurensuche nach Menschen, denen wir Fragen stellen wollen:
Wo waren Sie am 9. November 1989? Wie grenzenlos sind Ihre Träume und Erwartungen aufgegangen?“, erklärt er gegenüber der MZ. Katrin Riemay sei eine von sieben Kandidaten aus ganz Deutschland, die er für das Fernsehformat „GrenzenLos“ besucht.
Katrin Riemays Traum hat sich jedenfalls erfüllt. Sie verließ den Staat unter anderem, weil sie nach dem Abitur und der Apotheken-Facharbeiterausbildung Pharmazie studieren wollte, es in der DDR aber nicht konnte. Denn den Studienplatz bekam die Tochter des Bezirksapothekers.
Die Quedlinburgerin hatte vor, mit ihren Freunden Dirk und Stephan das Land zu verlassen. „Wenn ihr jetzt nicht fahrt, kommt ihr nicht mehr los“, hatte ihr Vater am 30. September 1989 gesagt.
Es war der Samstagabend, an dem Hans-Dietrich Genscher, Außenminister der Bundesrepublik, auf dem Balkon des Palais Lobkowitz in Prag stand und über die möglich gewordene Ausreise informierte - womit das Ende der kommunistischen Diktatur eingeläutet wurde.
Nur eine Stunde später ließ sich das Trio in einem Trabbi zum Dresdener Bahnhof fahren. „Er war voller Menschen. Wir hatten Angst, dass darunter Stasi-Mitarbeiter sind, und haben ganz leise gesprochen“, erinnert sie sich. „Unheimliche Angst“ hatten sie auf der Zugfahrt nach Tschechien. Riemay: „Es sollte wie eine Besuchsreise aussehen, wir hatten Gastgeschenke mit. Die Telefonnummern von westdeutschen Verwandten hatten wir auswendig gelernt, damit keine Notizen gefunden werden konnten.“
„Wir hatten Telefonnummern von westdeutschen Verwandten auswendig gelernt, damit keine Notizen gefunden werden“
Als ein Fremder in dem Zug abgeführt wurde, klopfte ihr Herz schneller, der Schweiß lief. Doch sie überstand die Fahrt und zwei Kontrollen – die letzte auf tschechischem Boden vermutlich nur wegen eines gutherzigen Kontrolleurs, der über seine Pflicht hinwegsah. In den Waggons eines entgegenkommenden Zugs saßen bereits erleichterte Menschen, die aus Prag über Dresden nach Westdeutschland gebracht wurden - das wollte das Trio auch.
Vor der Botschaft in Prag, zu der sie in einem Taxi fuhren, stand der „Bus in die Freiheit“, wie Katrin Riemay berichtet. Mit diesem ging es zurück zum Bahnhof, und die drei jungen Quedlinburger bekamen Plätze im letzten Wagen des letzten Zuges, der die DDR-Bürger ausfuhr – der Beginn eines neuen Lebens. „Wie in einer kurzen Zeit das ganze Schicksal beeinflusst werden kann!“, sagt die Apothekerin.
Nach einer Ausbildung zur pharmazeutisch-technischen Assistentin in Osterode studierte Katrin Riemay Pharmazie in Berlin
Zunächst arbeitete sie im Lager einer Apotheke in Radolfzell am Bodensee. Viel Geld hatte sie nicht: „Ich aß meist Brot vom Aldi mit Nutella.“ Das sei schon großartig gewesen. Eine Kollegin brachte ihr jedoch täglich eine warme Mahlzeit mit.
Mit 21 Jahren wurde Katrin Riemay zur pharmazeutisch-technischen Assistentin in Osterode im Westharz ausgebildet, es folgte das angestrebte Studium in Berlin. „Ich war total glücklich!“ Wegen der Liebe und mit ihrem gerade geborenen Sohn kam sie vor 20 Jahren zurück in den Ostharz, fünf Jahre später kaufte sie die Ratsapotheke in Quedlinburg.
Auch Riemays Weggefährten Dirk und Stephan berichteten Wolfgang Stumph von ihrer Flucht aus der DDR
In der stand am Drehtag Wolfgang Stumph hinter dem Tresen, bediente Kunden und plauderte mit seiner Protagonistin. Zwischendurch stellten beide Vitaminkapseln im kleinen Labor her. Rezepturen beherrschen, Salben und Medikamente anfertigen – das sei das Handwerk der Apotheker, sagt Katrin Riemay.
Sie ist begeistert von dem Prominenten, beschreibt ihn als „fröhlich, herzlich, warm“. Durch seine Art und Professionalität sei der Dreh entspannt gewesen – auch als Riemays Weggefährten Dirk und Stephan dazukamen, um über die Flucht zu berichten.
Stumph lobt seine Gesprächspartnerin als „starke Frau“. Überhaupt habe er „wiederholt festgestellt: Ostfrauen sind stark und Vorbild für manche Männer. Diese Frauen sind selbstbewusst und emanzipiert. Sie haben meine Hochachtung, welchen Mut sie aufgebracht haben, um ihr Leben zu ändern und ihren ganz persönlichen Weg gehen“.
Später wurde am Müncheberg bei Bad Suderode gedreht: Riemay zeigte Stumph Wolfsmilchgewächse und Orchideen
Nach einer Drehpause - Riemays „Hauself“ hatte Erbsensuppe für die Crew gemacht – ging es zum Müncheberg bei Bad Suderode. Riemay: „Pflanzen in der Natur bestimmen, ist meine große Leidenschaft.“
Und so informierte sie Wolfgang Stumph etwa über Wolfsmilchgewächse und Knabenkraut-Orchideen. „Das war ein besonderer Tag in meinem Leben, an den ich mich immer erinnern werde“, sagte sie.
Der geplante Sendetermin für „GrenzenLos“ ist Sonntag, 29. September, um 20.15 Uhr im MDR-Fernsehen. (mz)