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Die Wahrheit hinter der Fassade des Lebens

Von STEPHAN NEEF 09.05.2010, 15:07

QUEDLINBURG/MZ. - Es gibt Schauspieler, die noch im fortgeschrittenen Alter über rote Teppiche schreiten können, um in Premierenkinos oder Festivalpalästen für ihre jüngste Filmrolle gefeiert zu werden. Monika Woytowicz gehört nicht dazu. Die heute 65-Jährige, deren Gesicht und deren Darstellungskunst bis zu ihrer Übersiedlung in den Westen im Jahr 1983 etliche Defa-Filme ("Mir nach, Canaillen", "Die Abenteuer des Werner Holt") prägte, hat in der Vergangenheit nur noch in TV-Serien gespielt. Aus gesundheitlichen Gründen musste sie schließlich gänzlich pausieren.

Am Sonnabend durfte die gebürtige Mecklenburgerin dagegen gleich mehrfach über einen roten Teppich laufen. Allerdings führte das gute Stück "nur" in das Palais Salfeldt am Quedlinburger Kornmarkt. Doch der rekonstruierte Barockbau fungiert inzwischen regelmäßig als repräsentatives Kino der Welterbestadt. Genauer gesagt: als Programmkino.

Seit Juni 2008 zeigt der Verein q-ARTus hier Kino- und Fernsehfilme, die zwischen 1954 und 1991 zum Teil in der Kaiserstadt oder ihrer Umgebung gedreht wurden. "Filmstadt Quedlinburg" heißt das Projekt. Am Wochenende lief der nunmehr 13. Film: "Lützower", eine monumentale 70-mm-Produktion aus dem Jahre 1972. Monika Woytowicz hatte in dem von Werner W. Wallroth ("Alaskafüchse", "Blutsbrüder") inszenierten Historiendrama keine Rolle. Dafür zählte die Aktrice zu den prominenten "Modellen", die der Berliner Fotograf Günter Linke porträtiert hat. Bis zum 4. Juli sind seine kunstvollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen im Palais zu sehen. "Paare und Gesichter" heißt Linkes Personalausstellung, die wenige Stunden vor der Wiederaufführung der "Lützower" feierlich eröffnet wurde.

Dass Monika Woytowicz der Einladung des Vereins folgte, ist eine "Sensation", sagte Projektleiter Hans-Jürgen Furcht der MZ. Zehn Jahre sei die Schauspielerin nicht mehr verreist, die lange an der Hautkrankheit Vaskulitis litt und seit 2004 Schirmherrin der Deutschen Vaskulitis-Stiftung ist. Während der Vernissage überließ sie ihrem Kollegen Christian Steyer das Wort. Der heute 63-Jährige war 1973 durch den Erfolgsfilm "Für die Liebe noch zu mager" bekannt geworden. Für Furcht sowie andere Fernsehzuschauer ist er heute vor allem die "sonore Off-Stimme" aus der MDR-Zoo-Doku-Soap "Elefant, Tiger & Co.". Steyer schrieb aber auch die Musik für inzwischen 28 Kino- und Fernsehfilme. Den freischaffenden Star-Fotografen Linke, der von 1968 bis 1991 vorzugsweise für die DDR-Zeitschrift "Filmspiegel" arbeitete, kennt er seit 40 Jahren. Wenn sie sich längere Zeit 'mal nicht sahen, hätte Linke "von seinem verlorenen Sohn gesprochen", erzählte Steyer in seiner Laudatio. Zwischen ihm und dem 1943 im heutigen Lodz geborenen Ex-Buchhändler, der zwischen 1970 und 1976 an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst ein Fotografie-Studium absolvierte, gebe es "etwas tief Verbindendes".

Das habe damit zu tun, wie Günter Linke fotografiert: "Er schmückt das Leben nicht künstlich, sondern zeigt es pur, geht weg vom Putz der Fassade und bildet stattdessen die Spuren ab, die das Leben in den Menschen hinterlässt". Diese Spuren zeigen vor allem die jüngsten, ungemein ausdrucksstarken Porträts gealterter Mimen, die einst DDR-Stars waren. Und das im besten Wortsinn. Linke hat über 2 000 Schauspieler, Regisseure oder Sänger fotografiert. Seine Archivsammlung liest sich wie ein "Who is Who" der DDR-Künstlerszene. Der Ausstellungsbesucher betrachtet viele Bilder mit einer gewissen Wehmut, wird ihm doch bewusst, was für prägnante, oft auch schöne Gesichter der DDR-Film hatte. Und was für wunderbare Schauspieler.

Mit gemischten Gefühlen sieht er auch viele der von Linke abgebildeten Paare. Prominente und namenlose Liebespaare oder solche, die es irgendwann einmal waren: Annekatrin Bürger und Rolf Römer, Renate Blume und Dean Reed, Eva-Maria Hagen und Wolf Biermann, das mit diversen Orden geschmückte Veteranenpaar aus Kasachstan, die alten Bauern aus Aserbaidschan oder Mecklenburg, der Fischer Platon und seine Frau Warwara aus dem rumänischen Donaudelta. Bis auf ein Berliner Pärchen hat offenbar niemand etwas zu lachen. Auch nicht die beiden Missionare oder die zwei Kibbuzniks. In der Star-Galerie gibt nur Gert Fröbe den Clown. "Mit zunehmender Reifung verwandelt sich das Bild vom lachenden zum ernsten Menschen", sagt Linke in Anspielung auf die lachende und weinende Mimen-Maske. Der Berliner hat auch diverse Weltstars fotografiert, zu sehen sind zum Beispiel Gina Lollobrigida, Kirk Douglas oder Anna Karina. In den vergangenen Jahren machte er zudem mit anderen Themen auf sich aufmerksam: In "Klotz am Bein" dokumentierte er die Situation von Strafgefangenen, in "Zwischen Mut und Verzweiflung" die Nöte verschuldeter Menschen.

Christian Steyer war, wenn auch nur zufällig, das Bindeglied zwischen der Quedlinburger Ausstellung und dem "Lützower"-Film, der eine dramatische Episode aus dem Leben sowie Kampf der "Schwarzen Freischar" des Majors Adolf Freiherr von Lützow schildert. Steyer war damals Filmstudent und in der vier Millionen DDR-Mark teuren Produktion, die nach dem gleichnamigen Schauspiel von Hedda Zinner (1905 - 1994) entstand, als Kleindarsteller engagiert. Die Crew drehte seinerzeit auch in Langeln, Altkreis Wernigerode. Hans-Jürgen Furcht und seine Mitstreiter sind nicht die ersten Defa-Filmfreunde, die das 1813 spielende Drama wieder ausgegraben haben: 2008 wurde der Streifen anlässlich des 195. Jahrestages der Völkerschlacht im Leipziger Land aufgeführt, 2009 zur 1 111-Jahr-Feier des Querfurter Ortsteils Weißenschirmbach, der mit den nahen Glockstädter Bergen ebenfalls Drehort war.