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"Kleine weiße Friedenstaube" Ausstellung in der Alten Kirche in Bad Suderode: Scherenschnitt-Künstlerin Erika Schirmer war zu Tränen gerührt

Von Uwe Kraus 11.03.2019, 14:57
Andreas Knopf und Martina Weber sangen für Erika Schirmer (Mitte) in Bad Suderode ihr „Hirten-Lied“.
Andreas Knopf und Martina Weber sangen für Erika Schirmer (Mitte) in Bad Suderode ihr „Hirten-Lied“. Uwe Kraus

Bad Suderode - Es war ein Nachmittag voller Überraschungen. Erika Schirmer war am Sonnabend in die Alte Kirche in Bad Suderode gekommen, um eine Ausstellung mit ihren Scherenschnitten zu eröffnen. Doch die Vernissage verlief anders, als der Gast es erwartet hatte. Tränen der Rührung standen ihr in den Augen angesichts der Kulisse und der Menschen, deren Herzen ihr zuflogen.

„Ich bin vor Freude völlig überwältigt, dass so viele Menschen da sind und mir dieses Geschenk machen“, sagte die 92-jährige Künstlerin und Komponistin, die vor allem durch ein Lied bekannt geworden ist: Die „Kleine weiße Friedenstaube“ kannte in der DDR jedes Kind.

Andreas Knopf und Martina Weber überraschten Schirmer mit dem Hirten-Lied“

Allerdings ist es nicht dieses Stück, das Erika Schirmer zu Tränen rührte, sondern ihr „Hirten-Lied“, das sie so wie in Bad Suderode noch nie zuvor gehört hat. Der Harzer Jodlermeister Andreas Knopf und seine Gesangspartnerin Martina Weber haben als Überraschung für den Gast ihre neue Komposition einstudiert und in der Alten Kirche vorgetragen. „Ich bin so bewegt, ich muss mich erstmal setzen“, gestand die Autorin.

Das bekannte Gesangspaar bat Erika Schirmer darum, dass sie deren Lied auf ihre aktuelle CD aufnehmen können. „Die beiden erwarten jetzt ein Ja“, wandte sich die agile Dame ans Publikum. „Das bekommen sie auch!“ Martina Weber versprach der Autorin, dass sie das Lied „Kleine weiße Friedenstaube“, das vor 70 Jahren entstand, auch künftig weit in die Welt heraustragen werden.

93-Jährige Erika Schirmer wirkt wie eine Mittsiebzigerin

Doch Erika Schirmer lässt sich nicht nur auf ihr bekanntestes Stück reduzieren. Die Frau steht im 93. Lebensjahr, wirkt aber lebendig wie eine Mittsiebzigerin.

Nach Bad Suderode kam sie auf Einladung des Freundeskreises Alte Kirche, der eine Auswahl von Scherenschnitten der ehemaligen Kindergärtnerin und Sonderpädagogin, die heute in einem Stift im Thüringischen Ilfeld lebt, präsentiert.

Dicht an dicht saßen die Besucher in der Alten Kirche, und mancher mochte glauben, dass die Künstlerin eine so kurze wie professionelle Eröffnungsrede aus der Tasche ziehen würde. Nicht so im Kurort vor den Toren Quedlinburgs: Erika Schirmer fand offenbar, dass auch hier mit Musik alles besser geht.

Die Seniorin kletterte aufs Podium, setzte sich ans Klavier und sang mit allen Besuchern ein Lied nach dem anderen, bei „Alle Vögel sind schon da“ sogar mit zweiter Stimme.

Erika Schirmer spielt Klavier, schuf Hunderte Gedichte, Lieder und Kinderreime

Bianka Kachel, Ehrenvorsitzende des Bad Suderöder Vereins, der gerade sein Vierteljahrhundert vollendet hat, wurde es ganz warm ums Herz. „So eine emotionale Ausstellungseröffnung habe ich wohl noch nie erlebt.“ Selten habe sie einen Menschen mit so vielen Begabungen getroffen wie den Gast des Nachmittags.

Die in Schlesien geborene Frau spielt Klavier, schuf Hunderte Gedichte, Lieder, Kinderreime, Kurzgeschichten, Kalender- und Kunstblätter sowie Scherenschnitte, die oft den Harz, Märchen und Nordhausen thematisieren. 2016 wurde Erika Schirmer für ihr Engagement für Frieden und Demokratie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Es sei eine Schande, findet Bianka Kachel, die SPD-Politikerin ist und früher selbst Pädagogin war, dass Erika Schirmers „Kleine weiße Friedenstaube“ heute in den Kindergärten im Osten vergessen scheint. „Aber in Österreich und selbst im Westen lernen die Kinder es.“

Dabei sollten bei der Vernissage eigentlich die feinen Kunstwerke in Papier im Vordergrund stehen. Dank der Unterstützung vieler ehrenamtlicher Helfer sind zahlreiche, sehr filigran gearbeitete Scherenschnitte von Erika Schirmer in der Alten Kirche zu sehen. Immerhin auf mehr als 120 Ausstellungen wurden diese bisher gezeigt, darunter an zahlreichen Orten in Polen.

„Aus welcher Ecke kommt denn jetzt noch eine Überraschung“, scherzte dann frohgestimmt Erika Schirmer. Und bekam große Augen: Volkmar Heilbock aus Erfurt trat nach vorn. Er hat ein Buch herausgebracht, dessen erstes Exemplar er der rüstigen 92-Jährigen mit herzlichen Worten übergab.

Volkmar Heilbock überreicht Lebenserinnerungen im Buch

Es vereint Scherenschnitte, die noch bis zum 29. April in Bad Suderode zu sehen sind, und Lebenserinnerungen der Frau, die aus Schlesien über Rügen nach Nordhausen kam. „Sie sehen meine Tränen und mein Lachen“, sagte sie. „Ich bin so glücklich. Los, wir singen noch ein Lied.“

Daraufhin klang „Sah ein Knab ein Röslein stehn“ durch die Alte Kirche. Wie passend: Später waren dann auch Rosen in den Sträußen, die ihr Freunde und Liebhaber ihrer Kunst überreichten. (mz)