"Stasi-Schweine" Amtsgericht Quedlinburg: Rentner muss sich wegen Beleidigung und Körperverletzung vor Gericht verantworten

Quedlinburg - Er soll seine Nachbarin mit dem Ellenbogen vor die Brust geschlagen und mit einem Einweckglas nach ihr geworfen haben. Er soll einem Nachbarn gedroht haben, ihn umzubringen, oder einen Mitarbeiter der Stadtverwaltung als „Naziossi“ beschimpft haben:
Gleich sechs Straftaten - teils im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangen - wirft die Staatsanwaltschaft dem 60-Jährigen vor, der sich jetzt vor dem Amtsgericht Quedlinburg verantworten musste. Körperverletzung? Bedrohung? Beleidigung? Die Anschuldigungen seien „aus der Luft gegriffen“, ereifert sich der Mann. „Beweise!“, fordert er.
„Er kam raus und pöbelte: ,Stasi-Schweine. Lumpen.‘ Wir haben nicht reagiert“
Der 60-Jährige sei ihr Nachbar, sagt eine 65-Jährige als Zeugin vor Gericht. „Wir haben auf unserem Grundstück geharkt. Da kam er raus und pöbelte: ,Stasi-Schweine. Lumpen.‘ Wir haben nicht reagiert“, schildert sie. Dann sei ihr Nachbar zum Zaun gekommen und habe ein Glas direkt in Richtung ihres Kopfes geworfen. „Hätte ich mich nicht weggeduckt, hätte ich es abbekommen.“ Sie bestätigt auch den Stoß mit dem Ellenbogen: Sie hätte vor dem Haus gestanden, die Fensterbänke ausgewischt. „Er schubste mich zur Seite.“
„Gibt es irgendeine Erklärung“, fragt Richterin Antje Schlüter nach. „Ich weiß es nicht“, sagt die Frau und fügt dann hinzu: „Er behauptet immer, das Grundstück, wo wir wohnen, wäre seins.“
60-Jähriger ist frustriert wegen Entscheidung der Treuhand
Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Verhandlung: Der Angeklagte erklärt, dass laut den Informationen, die er zu seinem von der Treuhand gekauften Grundstück habe, das Haus der Nachbarn in sein Eigentum hineinrage. Die Flurgrenze der Treuhand würde nicht mit der Flurgrenze, wie sie bei der Stadtverwaltung vor Ort vorliege, übereinstimmen. Klären könne er das nicht.
Seine Klage gegen die Treuhand sei abgewiesen worden, die Gerichtskosten könne er nicht bezahlen. „Weil ich ein reicher Mann bin, bekomme ich keine Prozesskostenhilfe“, poltert der 60-jährige Grundstückseigentümer, der sich über die Ungerechtigkeit im „kommunistisch-stalinistischen“ Gebiet ebenso aufregt wie über den „Verbrecherstaat“, von dem er das Haus erworben habe. Mehrfach ruft Richterin Antje Schlüter den Mann zur Ordnung.
Richterin muss den Angeklagten zur Ordnung rufen
Seit der Angeklagte vor einigen Jahren eingezogen sei, sei das Verhältnis zu ihm „katastrophal“, berichtet der Mann der 65-jährigen Nachbarin. Ihm selbst habe der Angeklagte zugerufen: „Ich bringe dich um.“
Ein anderer Zeuge schildert, wie er durch die Feuerwehr benachrichtigt worden war, weil der Angeklagte außerhalb der Brennzeit ein offenes Feuer auf dem Grundstück entzündet hatte. Der 60-Jährige habe sich der Aufforderung, das Feuer zu löschen und ihm Zutritt zu gewähren, widersetzt. „Ich wurde betitelt, wir würden mit Stasi-Methoden vorgehen. Er beschimpfte mich als ,Nazi-Ossi‘“, so der Zeuge.
Gutachter stellt Defizite beim Steuerungsvermögen fest
„Der Angeklagte hat selbst eingeschätzt, dass er auch mal laut, rechthaberisch und jähzornig wird“, sagt der Sachverständige, der den 60-Jährigen begutachtet hat. Den Anstoß dafür hatte das Amtsgericht gegeben. Der Hintergrund: Frühere Anklagen wurden eingestellt, weil bei einer psychiatrischen Begutachtung „Auffälligkeiten“ festgestellt wurden. Der 60-Jährige sei, sagt der Gutachter nun, „deutlich eingeschränkt in seinem Steuerungsvermögen und seiner Einsichtsfähigkeit“.
Letztlich verurteilt das Gericht den nicht vorbestraften Mann zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten. Diese wird zur Bewährung ausgesetzt, dem Angeklagten ein Bewährungshelfer zur Seite gestellt.
Angeklagter wird zu vier Monaten auf Bewährung verurteilt
„Ich habe verstanden, dass es um die Grundstücksgrenze geht“, sagt Richterin Antje Schlüter. „Aber das ist noch lange kein Grund, die Leute, die in der Nachbarschaft wohnen, derart zu behandelt, wie der Angeklagte das tut“, fügt sie hinzu. „Dass das Strafverfahren keine Ruhe in die Geschichte bringt, ist klar.“ Nur der Angeklagte selbst habe die Möglichkeit, das zu klären - „in Ruhe und an den entscheidenden Stellen. Und das sind nicht die Nachbarn, sondern die Nachfolgeorganisationen der Treuhand“. (mz)