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Von Dorf zu Dorf - Marienthal Von Dorf zu Dorf - Marienthal: Idylle unterm Blätterdach

Von JANA KAINZ 04.09.2011, 08:21

Die hat sie hier pur gleich hinterm Haus. "Mir sind der Garten und die Blumen ans Herz gewachsen", gesteht sie. Und damit unterscheidet sie nichts mehr von den waschechten Marienthalern wie ihre Nachbarin Simone Matutta. Da wird im Sommer über den Gartenzaun geguckt, was bei der anderen so wächst. "Und holt am Wochenende einer den Rasenmäher raus, ziehen alle anderen nach", erzählt Simone Matutta. Früher ging das nur mit der Sense, da sahen die Grünflächen nicht so schön aus. Aber jetzt ist alles gepflegt, und es blüht vor jedem Haus.

"Für uns ist es ein Ereignis, wenn hier mal ein Auto von der Wasserwirtschaft oder der Krankenwagen vorbeifährt", so Hannelore Doil. Gelegentlich zerschneidet schier unaufhörliches Telefongeklingel die Stille unterm Blätterdach der Kastanienallee. "Das ist Leo, Langners Graupapagei, der im Sommer draußen vor dem Haus sitzt und einem auch schon mal hinterher pfeift", erzählt Simone Matutta mit einem Schmunzeln.

Lange vor Leos Zeit hatten viele Kinder und Jugendliche für Leben auf dem Asphalt gesorgt. "Als ich klein war wohnten in jedem Haus zwei, drei Kinder", so die 45-Jährige. Sie spielten auf der Straße Ball über die Schnur oder Gummihopse, fuhren auf den Marienthaler Teichen Schlittschuh oder Schlitten im Wald. In den 80er Jahren baute die Jugend hinter der Försterei eine Bretterbude. "Wir nannten sie die Axt, weil wir sie gleich dreimal aufbauten aus Brettern und Stämmen" so Simone Matutta. "Die Axt war toll, das hab' ich mein Lebtag nicht gesehen", schwärmt Hannelore Doil. Später wich ihre Bude einem Bungalow, den die Stadt für die Jugend hinsetzte. Da spielten auch die alten Marienthaler freitags und sonntags Karten oder Volleyball. Jubel, Trubel, Heiterkeit ist den Marienthalern einmal im Jahr garantiert - mit dem Reitturnier des Reit- und Fahrvereins Marienthal. Zu diesem reisen Freunde des Pferdesports an. Auch ganz Marienthal ist dann auf den Beinen.

Die Ställe waren einst Teil des Schlosses, das der Familie Freiherr von Wilmowsky gehört hatte. Der letzte Bewohner, Tilo von Wilmowsky, habe sich sehr um seine Leute gekümmert, sagt Simone Matutta. Für sie habe er um 1910 in einer Seitenstraße der Kastanienallee die Fronhäuser errichten lassen. "Jedes anders und jedes mit einem Elektroherd", erzählt die Mittvierzigerin, die heute noch mit ihrer Familie in einem dieser Häuser wohnt. Nach dem Zweiten Weltkrieg, erinnert sie sich, wurden Wilmowskys verfolgt. Bis auf den Schlossherren hatte sich die Familie in Sicherheit gebracht. "1945 wurde Tilo von Wilmowsky bei Nacht und Nebel verfolgt, die Marienthaler versteckten ihn erfolgreich in ihren Häusern, das war ein ganz lieber Mann", erzählt Simone Matutta aus den Erinnerungen ihrer Oma. Die hatte später im Schloss gearbeitet. Da gehörte es längst nicht mehr Wilmowskys. Es war inzwischen ein Kinderkurheim - das zweitgrößte der DDR. Mit der Wende war auch diese Ära vorbei. Nachdem Monika Schreiber das Schloss erwarb, sind es hauptsächlich Brautpaare, die in dem Hotel ihre Hochzeit feiern. So auch an diesem Wochenende wieder.

Der Blumenschmuck kommt allerdings nicht von der Schlossgärtnerei vis-à-vis. Zwar diente sie der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) noch viele Jahre als Gärtnerei. Inzwischen wurde daraus aber ein Wohnhaus, das nun saniert wird. Von der LPG selbst blieb auch nichts übrig. Fred Schreiber ist als Wiedereinrichter einziger privater Landwirt im Ort, allerdings nicht als einziger Unternehmer. Ein Fuhrunternehmen ist hier ebenso ansässig wie eine Putenmastanlage, ein Hausmeisterservice, eine Fischräucherei und ein privater Forstbetrieb. Seine Pforten längst geschlossen hat der Konsum. Simone Matutta wollte gern dessen Leitung übernehmen. Doch als es soweit gewesen wäre, kam die Wende 89 / 90.

Was sich die beiden Frauen wünschen, sind gelegentlich wieder Feste, die man gemeinsam feiert - von der jüngsten Marienthalerin, der am 1. April geborenen Vivien, bis zu Joachim Tänzer, der mit seinen 83 Jahren der älteste Einwohner ist. Abgesehen von den Festen sagt Hannelore Doil über Marienthal kurz und knapp: "Entweder es gefällt dir hier oder nicht."