Vita Vita: Anwalt und Richter

Naumburg - Winfried Schuberts Begrüßungs- und Schlussworte während öffentlicher Veranstaltungen sind immer originell. Stets garniert der Präsident des Oberlandesgerichts (OLG) Naumburg diese mit erfrischenden, erheiternden, interessanten, bereichernden und stets zum Thema passenden Zitaten, Gedichten oder geschichtlichen Episoden. Nein, diese schüttelt er, auch wenn es so scheint, nicht aus dem Ärmel, sondern blättert dafür in seinen vielen privaten Kunst- und Geschichtsbüchern oder Zitatensammlungen, die er in den Regalen seines Dienstzimmers neben juristischen Nachschlagewerken verstaut hat. Diese Bücher nimmt er auch dieser Tage in die Hand, aber nicht, um darin nach passenden Zeilen für eine Rede zu suchen, sondern um sie in Kartons zu verstauen. In Umzugskartons. Nach zwölf Jahren OLG-Präsidentschaft und einem über 40-jährigen Berufsleben bricht für ihn eine neue Zeit an: die des Ruhestandes.
„In den letzten Monaten habe ich den Abschied trainiert, verteilt immer mal Urlaubstage genommen“, gesteht Schubert. Von der Arbeit könne er sich verabschieden. Ein Wechsel an der OLG-Spitze tue nach zwölf Jahren gut, meint er. Er sei ohnehin „ein Freund dieser Abwechslung“. Außerdem schaue er zufrieden auf seine Arbeit zurück.
Am Herzen lag ihm in den Naumburger Jahren unter anderem, die Kommunikation zwischen den Oberlandesgerichten und zu allen anderen Gerichten auszubauen. Sich an den bundesweiten Leistungsvergleichen der Amts-, Landes- und Oberlandesgerichte zu beteiligen, regte Schubert an.
Wichtig ist ihm auch der Blick über den Tellerrand. So knüpfte er internationale Kontakte - nicht nur auf Präsidentenebene - zu Gerichten wie in Österreich, Luxemburg, Rumänien, Frankreich oder jenen in Skandinavien. 2009 organisierte er die erste Tagung Europäischer OLG-Präsidenten in Quedlinburg.
Etwa 60 Gäste aus fast allen EU-Mitgliedsstaaten waren der Einladung gefolgt, um strafrechtliche Themen zu besprechen. Es war der Beginn eines dauerhaften Erfahrungs- und Meinungsaustauschs, der 2011 fortgesetzt wurde. In Dijon ging es um die moderne Technik und deren Auswirkung auf die Gerichte. In Pamplona 2013 stand die Gerichts- und Justizverwaltung im europäischen Vergleich im Mittelpunkt und 2015 widmeten sich die Juristen im finnischen Turku den Themen „Justiz und Medien“ und „Status der Oberlandesgerichte in Europa“. Den Nachwuchs unter verschiedenen juristischen Aspekten mit Europa und der Union vertraut zu machen, machte sich Schubert ebenso zur Aufgabe und begründete die Europatage für Naumburger Schulen am OLG. Und letztlich erweckte er die Mittwochsgespräche zu neuem Leben.
Mit der Arbeit wird er sich auch von zwei Ritualen verabschieden müssen. Blieb er länger im Büro, um Unterlagen zu lesen, lief im Hintergrund das Radio. Hatte er etwas ins Aufnahmegerät zu diktieren, brühte er sich dafür einen Tee auf. Dafür kam nur eine Mischung, die er stets vorrätig hatte, ins Tee-Ei: Schwarztee Orange/Ingwer.
Sein trainierter Abschied ist allerdings kein abrupter. Als Präsident des Landesverfassungsgerichts Dessau-Roßlau ist er noch bis ins Jahr 2022 in Amt und Würden, da spielt das Alter keine Rolle. Doch voll ausschöpfen wolle er die Periode nicht. „Es ist gut, wenn dieses Amt mit aktiven Richtern besetzt ist“, meint der 65-Jährige. Außerdem werde er noch den Präsidententag, der im Sommer in Wörlitz stattfindet, vorbereiten und den einen oder anderen Vortrag halten. Dann aber sei Schluss.
Eher schwer fallen werde ihm, den vielen Menschen, mit denen er zusammengearbeitet hat, Lebewohl zu sagen. „Der enge Kontakt zu ihnen wird mir fehlen, ich war in viele Mitarbeiterkreise eingebunden vom Ministerium bis hin zu den Amtsgerichten“, so der scheidende OLG-Präsident. Erfrischend seien für ihn immer die Besuche bei den sachsen-anhaltischen Gerichten gewesen. Ein jedes sucht er noch einmal während seiner gegenwärtigen Abschiedstour auf. Nach seinem Geburtstag, den er am Sonntag gefeiert hat, ist er zu dieser aufgebrochen. Bis zum 26. Februar will er das Besuchspensum geschafft haben. Es ist sein letzter Arbeitstag. Offiziell endet seine Dienstzeit am 29. Februar. „Ich gehe ins verlängerte Wochenende“, scherzt Schubert. Und er geht erfrischt, was gut ist angesichts seiner Zukunftspläne. Die hat er bereits geschmiedet - mit Bedacht, denn, „wenn man glücklich sein will, braucht man einen Sinn“.
Weil er bislang selbst viel Glück im Leben hatte, sei ihm jetzt wichtig, etwas davon zurückzugeben. In Hospizen und Krankenhäusern möchte er sich caritativ einbringen. „Was dafür gebraucht wird, ist Zeit und die sollten Pensionäre haben.“ Weiterhin engagieren möchte er sich für den Förderkreis Hildebrandt-Orgel Naumburg, dem er vorsitzt. Nutzen möchte er die freie Zeit auch, um die von ihm mitbegründete Lepsius-Gesellschaft zu aktivieren, weiter Flöte zu spielen und eine neue Sprache zu erlernen - vielleicht Schwedisch oder Portugiesisch. Und noch ein Vorhaben steht auf seiner Liste: sein Mitwirken im Bamberger Krippenverein. Auf diesen stieß Schubert, als er mit seiner Frau Marion für eine Woche vor Weihnachten Pflegetochter Laura, die sich in der oberfränkischen Stadt zur Erzieherin ausbilden lässt, besuchte. Jeden Advent stellt der Verein eine Krippenausstellung in einer ehemaligen Kirche auf die Beine. „Da wurde bei mir so eine Ader angesprochen. Mein Vater war Krippenfan und vererbte mir vier. Ich dachte mir immer, ich sollte da Figuren einbauen“, erzählt er sichtlich in Vorfreude auf die Bastelstunden. Aber auch die zwölfjährige Ambra wird sich ihre Aufmerksamkeit einfordern und Schubert auf manche Wanderung durch die Berge begleiten - ob rund um Naumburg, wo Schuberts wohnen bleiben wollen, oder Aschau, dem Nebenwohnsitz der Familie. Die Lagotto Romagnolo-Hündin gehört übrigens seit 2004 zur Familie.
Schubert ist dankbar, dass ihm seine Eltern den Weg in die Juristerei nicht verstellt haben. Er blicke auf ein spannendes, abwechslungsreiches Berufsleben zurück. „Ich konnte nie verstehen, dass Jura trocken sein soll. In den 40 Jahren habe ich mich nie gelangweilt“, sagt er und setzt hinzu: „Und ich bin froh und dankbar, das alles gut gegangen ist.“