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Kommentar Kommentar: Besondere Konstellation

22.08.2014, 06:53
Verbraucher schätzen Geflügel, doch Anlagen zur Hähnchenmast (Foto nicht aus Anlage Tauhardt) gelten auch wegen der Emissionen als heikel.
Verbraucher schätzen Geflügel, doch Anlagen zur Hähnchenmast (Foto nicht aus Anlage Tauhardt) gelten auch wegen der Emissionen als heikel. Archiv Lizenz

Halle/Tauhardt - Der Streit um die Hähnchenmast in Tauhardt geht in die nächste Runde. Das Landesverwaltungsamt hatte beantragt, die Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Halle zuzulassen, mit dem dieses die Genehmigung für die Anlage aufgehoben hatte. Eine Bürgerinitiative kämpft seit Jahren gegen das Vorhaben im Ortsteil der Gemeinde Finne. Geklagt hatte ein Anwohner, dessen Wohnhaus 250 Meter von der Anlage entfernt steht. Die zu erwartende übermäßige Geruchsbelastung sei so hoch, dass sie den Einwohnern nicht zuzumuten sei, sagte das Gericht und zog die vom Landesamt erteilte Genehmigung ein.

Richtlinie allein reicht nicht

Und nun kommt „Girl“ ins Spiel. So heißen zwar auch Parfums, doch hier steht „Girl“ für das Gegenteil: für Geruchs-Immissions-Richtlinie, ein bundesweit geltendes Regelwerk, das das Landesamt für die Genehmigung herangezogen hatte. Der Richter hingegen fand: Die Anlage sei so groß und liege so nahe an Wohnhäusern, dass die „Girl“-Regeln allein nicht ausreichen. Das aber, so fürchtet das Land, hätte weitreichende Konsequenzen, weil es für vergleichbare Fälle „die Frage nach der weiteren Anwendbarkeit von bisher in der Rechtsprechung anerkannten objektiven Entscheidungshilfen“ aufwirft. Die Konsequenzen könnten so weit gehen, dass sie Einfluss auf Genehmigungsverfahren in ganz Deutschland haben. Deshalb, so das Landesverwaltungsamt, werde dieses Verfahren mit den Genehmigungsbehörden anderer Bundesländer auszuwerten sein, damit Verwaltungen nicht unterschiedlich entscheiden. Um in diesem Fall eine klare Rechtsauffassung zu erhalten, habe man rechtlich gar keine andere Möglichkeit, als den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Halle hinsichtlich der Anwendbarkeit der „Girl“-Regeln von der nächsthöheren Instanz noch einmal prüfen zu lassen.

Die Anlage in Tauhardt ist für 250 000 Masthähnchen genehmigt worden und liegt nahe am Dorf. Ulrich Werner, der Anwalt des Klägers, hält die Entscheidung der ersten Instanz deshalb für gut begründet: „Die Anwendungsschwelle für die Immissionsschutzrichtlinie liegt bei 40 000 Mastplätzen. Geplant ist in Tauhardt mehr als das Sechsfache. Dass da die ’Girl’ allein nicht ausreicht, liegt auf der Hand.“

Derzeit werden in der Anlage 130 000 Tiere gemästet. Solange das Urteil noch keine Rechtskraft hat, kann der Betrieb weiter erfolgen. Roland Braune, Geschäftsführer der Geflügelhof Finne KG, die die Hähnchenmast betreibt, rechnet damit, dass die Berufung Erfolg haben wird. Das Ärgerliche für sein Unternehmen sei, dass bis zur Entscheidung wohl noch einmal zwei Jahre ins Land gehen werden.

Wenn das Oberverwaltungsgericht die Anwendbarkeit der „Girl“-Werte auch für Konstellationen wie in Tauhardt bestätigt, muss das aber nicht bedeuten, dass die Anlage im geplanten Umfang betrieben werden kann. Wie Rechtsanwalt Werner aufmerksam macht, enthalte die Urteilsbegründung noch einen weiteren „selbsttragenden Grund“ - die zu erwartende Emission von gesundheitsschädigenden Mikroorganismen über die Abluft, sogenannter Bio-Aerosole.

„1000 Hühner pro Einwohner“

Andreas Ilse, Sprecher der Bürgerinitiative, die sich gegen die Hähnchenmast in Tauhardt wehrt, reagiert auf den Antrag des Landesamtes mit Sarkasmus: „Mein Gedankenspiel bleibt die Vorstellung, in Tauhardt würde jede Familie auf ihrem Hof 1 000 Hühner pro Person halten. Bei 250 Einwohnern käme man auf die Größe der Anlage am Dorfrand. Jeder Gang übers Grundstück wäre vom flatternden Federvieh begleitet, überall wäre Kot. Vermutlich würde das Dorf vom Veterinär- und Gesundheitsamt zur Sperrzone erklärt werden und die Bevölkerung verpflichtet, ihr Vieh versteigern zu lassen“, sagt Ilse. Und er fügt hinzu: „Das Landesverwaltungsamt macht sich ohne Not stark für die Belästigung der Bürger. Vom Unternehmen hätte ich dies aus Selbstschutz erwartet, von einer Behörde kaum.“

Denise Vopel, Sprecherin der Behörde hält entgegen: „Es ist nicht so, dass wir in Tauhardt um jeden Preis eine Hähnchenmastanlage hinstellen wollen, aber wir müssen wissen, wie wir künftig in vergleichbaren Fällen zu entscheiden haben.“