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Historie Historie: Sogar eigenes Bier

07.11.2013, 08:44
Hildegard Vollmar lebt seit 20 Jahren in Bergwinkel, bald aber zieht sie zu ihren Kindern nahe der niederländischen Grenze. Zu ihrem Gehöft gehören diese drei Alpakas namens Synthia, Nele und Paula.
Hildegard Vollmar lebt seit 20 Jahren in Bergwinkel, bald aber zieht sie zu ihren Kindern nahe der niederländischen Grenze. Zu ihrem Gehöft gehören diese drei Alpakas namens Synthia, Nele und Paula. hans-dieter speck Lizenz

Der Biberbach hat keine Quelle. Vielmehr sind zwei Flüsschen für ihn wie Vater und Mutter, der Steinbach und der Saubach, die sich bei Bad Bibra in ihm wieder finden. Auf 7,7 Kilometer Länge und mit dem munteren Gefälle von 100 Metern plätschert er der Unstrut bei Burgscheidungen zu. Mittendrin in einem malerischen Tal liegt Thalwinkel, umgeben von Wäldern und Auen. Und an der Landstraße, einladend wie eh und je, der stattliche Gasthof. 35 Jahre lang sind dort Horst Friedrich Sturm und seine Frau Erzsébet als Wirtsleute ansässig und weit und breit für Gastlichkeit und gute Küche bekannt.

Doch bleiben wir in Thalwinkel. Gäste sind auch im evangelischen Tagungs- und Freizeitheim willkommen, das im alten Pfarrhaus von 1736 eingerichtet wurde. Thalwinkel ist ein freundliches Dorf mit freundlichen Menschen, die auch dem Fremden schon mal einen „Guten Tag“ auf der Straße wünschen. Rote Ziegeldächer sind ein Charakteristikum des Dorfes, und auf halber Höhe thront die Kirche über dem Ort. „Von 1999 bis 2003 war Thalwinkel in der Dorferneuerung“, sagt Hartmut Spengler, Bürgermeister der Stadt Bad Bibra, zu der Thalwinkel seit 2009 gehört. Gehwege wurden damals neu angelegt, Straßenlampen installiert, Sommerwege asphaltiert, das alte Brauhaus saniert und als Dorfgemeinschaftshaus eingerichtet.
Das Dorfleben zu wahren hat sich der Feuerwehr- und Heimatverein auf die Fahne geschrieben. Dazu gehören gemeinsame Feste, wie die alljährliche Kirmes. Identität seiner Heimat ist auch für Uwe Karcher keine Worthülse. „Die Geschichte des Dorfes hat mich von Jugend an interessiert“, sagt der 51-Jährige. „Der Charakter des Ortes darf nicht verloren gehen, besonders jetzt, wo Dörfer Stadtteile sind“. In Freizeitarbeit hat sich der Autoschlosser deshalb einer Aufgabe angenommen, die ihm am Herzen liegt. Er erforscht die Geschichte der Häuser und ihrer Bewohner. Stützen kann er sich dabei auf chronologische Aufzeichnungen aus Ort und Kirche, er besucht Archive, und spricht mit den Bewohnern und weckt ihre Erinnerungen. Da kann er im Computer auch manch interessantes Foto aus Familienbesitz dokumentieren – vom dörflichen Leben, von Festen und aus der Zeit, als Thalwinkel noch eine Dorfschule hatte. Apropos dörfliches Leben. Handwerker gibt es nicht mehr, keine Bäcker und Fleischer, auch keine bäuerlichen Wirtschaften in dem Ort. Ganz ist das Landleben indes nicht verschwunden, und hinter manchem Hoftor bellt es nicht nur, es gackert, schnattert und grunzt auch noch. In diesen Tagen wird manches Schwein zum Hausschlächter gebracht, und die Weihnachtsgans, die auf den Tisch kommt, ist eine von Thalwinkeler Schrot und Korn.

Nun aber geht’s bergauf. Nach Bergwinkel. Elf Prozent Steigung verkündet das Verkehrszeichen auf kurvenreicher Straße ins Oberdorf. Das gehört seit alters her zu Thalwinkel. Selten verirren sich Fremde hierher. In Rundlage gruppieren sich malerisch große Gehöfte mit imposanten Toreinfahrten. Ganze 41 Einwohner zählt Bergwinkel. Freundlich öffnet uns Hildegard Vollmar ihr Anwesen. Blumen und Grün ist überall auf dem Hof. Vor Jahren, als ihre Mann noch lebte, erzählt die 78-Jährige, haben beide Trakehner gezüchtet. Die edle deutsche Reitpferderasse machte Bergwinkel bei Liebhabern und Pferdesportlern weithin bekannt. „Ganz ohne Tiere kann ich aber nicht leben“, weiß die Frau, die nun drei Alpakas hält: Synthia (5), den Nachwuchs Nele (1) und die zweijährige Paula. Die Tiere sind sanftmütig und leichter zu halten als die temperamentvollen Trakehner. Große Wohngebäude und Stallungen, ein weitläufiger Garten mit Fischteich und Ruheplätzen, eine Koppel. Viel Arbeit ist das für die alleinstehende Frau. Im nächsten Jahr will sie zu ihren Kindern an die niederländische Grenze ziehen. Nach 20 Jahren. Damals hatte sie mit ihrem Mann das Gehöft in Bergwinkel gekauft. Der Abschied fällt schwer. In Bergwinkel ist Landwirtschaft zu Hause. 520 Kühe und 120 Kälber stehen hier in den Ställen der Agrargenossenschaft Nebra/Altenroda. Außerdem wird eine Biogasanlage betrieben.

Wieder zurück im Tal, stoßen wir auf eine Besonderheit. Das Bibertal liefert Trinkwasser für das Umland. „Thalwinkel ist das größte Wasserwerk im Bereich des Trinkwasserverbandes Saale-Unstrut“, sagt der Technische Leiter Olaf Zanke. Vier Tiefbrunnen fördern aus 70 bis 100 Meter Tiefe stündlich 160000 Liter Trinkwasser. Über den Hochbehälter Golzen wird Laucha versorgt, über den Hochbehälter Altenroda Nebra und Wangen und dazu viele Dörfer. Schauen wir noch einmal zum Biberbach. Der trieb einst zahlreiche Mühlen an. Die Rühlmannsche Mühle von Thalwinkel versorgte bis Anfang der 1960er Jahre das Dorf und die Umgebung mit Mehl und Schrot. Sie besaß einen Mahl- und Schrotgang, angetrieben durch ein oberschlächtiges Wasserrad. Von alledem ist heute nichts mehr erhalten. Karl-Heinz Fritsch hat das Mühlengebäude vielmehr zu einem Wohnhaus für zwei Familien umgebaut. Eine Besonderheit gibt es aber noch: Zwölf verschiedene Hochwasserstandsmarken haben die Müller seit 1824 am Gebäude angebracht.
Der höchste Wasserstand wurde am 13. Juni 1848 gemessen, als ein verheerendes Unwetter mit Hagelschlag und Wolkenbruch über den südlichen Ausläufern der Finne niedergegangen war, das ungeheure Wassermassen zu Tal führte. In den Erdgeschossräumen der Mühle reichte das Wasser den Bewohnern bis zur Brust. Sie mussten sich auf die Tische retten. Von 1970 stammt die letzte Hochwassermarke. Zwei Jahre danach wurde der Bach begradigt und hält nun Abstand von der Mühle. Ein automatischer Schreibpegel wacht in einem kleinen Häuschen über die Wasserstände. Wie dort zu lesen ist, war der niedrigste Wasserstand am 16. April 1973 mit 24 Zentimetern, am 13. April 1994 mit 317 Zentimetern der bisher höchste. Dann hat es das kleine Flüsschen besonders eilig, zur Unstrut zu kommen.