Historie Historie: Mönche und Wein

Wir sind die Preußen in Thüringen. Ob ich das denn wisse?“, fragte ein Mann, der mich beobachtete, wie ich das Abschiedsschild des Burgenlandkreises und das Begrüßungsschild des Saale-Holzlandkreises auf der Bundesstraße 88 bei Mollschütz fotografierte. Natürlich stimmt das so heute nicht mehr, aber die Abtlöbnitzer und Mollschützer haben nicht vergessen, dass sie bis 1945 eine preußische Enklave umgeben von Thüringer Gebiet waren. Und auch danach hatte man die Bewohner beider Dörfer mal dahin und mal dorthin amtlicherseits eingeordnet. Bis 1952 nach Stadtroda und Jena-Land, danach zum Kreis Naumburg und somit zum Bezirk Halle. Und da sind sie bis dato verblieben, beim Nachfolger Burgenlandkreis und dem Land Sachsen-Anhalt.
Allerdings, die Zuordnungen gingen im Burgenlandkreis munter weiter. „Ich bin seit 25 Jahren Bürgermeister“, sagt Rolf Werner (63) und habe in dieser Zeit fünf Gemeindereformen erlebt. Besser ist es nicht geworden.“ Seit 2010 ist Werner nun Bürgermeister der großen Gemeinde Molauer Land zu der sich die Gemeinden Abtlöbnitz (mit Mollschütz), Casekirchen (mit Köckenitzsch und Seidewitz), Leislau (mit Crauschwitz und Kleingestewitz) und Molau (mit Aue und Sieglitz) zusammengeschlossen haben. Die Gemeinde Molauer-Land wiederum ist Mitgliedsgemeinde der Verbandsgemeinde Wethautal, die ihren Sitz in Osterfeld hat. Nicht nur für den Außenstehenden ist das ganz schön kompliziert geworden.
Kein schönes Wetter am Tag unseres Besuches. Schneeregen fällt vom trüben Himmel. Trotzdem machen wir mit Rolf Werner einen Rundgang durch das Dorf, was man wörtlich nehmen kann, den von der Struktur aus ist Ablöbnitz ein Rundling. Hundegebell begrüßt uns auf Schritt und Tritt, und unter verschlossenen Hoftoren schauen misstrauische Schnauzen hervor. Große stattliche Gehöfte dominieren das Dorf, besonders die der Familien Methner und Seeser. Dennoch: Nicht zu übersehen sind zwei verödete Grundstücke, deren neuer und auswärts wohnender Besitzer sich wohl nicht so recht entscheiden kann, was er mit seinem Neuerwerb nun eigentlich vorhat.
Landwirtschaft ist aus dem einstigen Bauerndorf Abtlöbnitz nicht gänzlich verschwunden. Bei Seesers wird eine Nebenerwerbslandwirtschaft betrieben. Die Agrargesellschaft Prießnitz hat am Ortsrand einen Stall mit 270 Kühen und 250 Jungrindern und Kälbern. Auch 150 Mastschweine werden gehalten. Auf den Weideflächen am Dorf ist in der warmen Jahreszeit die Galloway-Herde der Agrargesellschaft zu finden.
Eine Tradition indes wurde Anfang 2000 beendet. Bis dahin war der Kaninchenverein Abtlöbnitz eine gute Adresse im Molauer Land. 24 Züchter gehörten zum Verein, und die alljährliche Schau im Saal der Dorfgaststätte war mit 150 Tieren immer gut besucht. „Kaninchen haben die meisten noch, aber mehr für die Pfanne, Ausstellungen gibt es leider nicht mehr“, sagt Bürgermeister Werner. Der Gaststättensaal indes wird weiter genutzt, meist zu Familienfeiern und örtlichen Festivitäten im Umland. Verschwunden ist auch mancher Handwerksbetrieb, die Gaststätte, der Dorf-Konsum und die Poststelle. Neu dagegen ist der Fußpflegesalon von Karin Schmidt, und seit vorigem Jahr gibt es die Naturheilpraxis von Sigrid Rathmann. Die 54-jährige ausgebildete Physiotherapeutin mit Heilpraktikerabschluss, die hauptberuflich im Eisenberger Krankenhaus arbeitet, behandelt in der eigenen Praxis mit alternativen Heilmethoden, besonders in der Immun- und Schmerztherapie. Die Abtlöbnitzerin führt damit eine Familientradition weiter. Ihre Mutter, die Landärztin Hildegard Höppe, heute 79 Jahre alt, hat viele Jahrzehnte lang Patienten in den Dörfern betreut. Die Staatliche Arztpraxis war in Leislau, Behandlungszimmer waren in Abtlöbnitz und Heiligenkreuz eingerichtet. Da stand ihr dann auch eine Gemeindeschwester zur Seite.
Ja, und dann finden wir doch noch die Spur eines alten Handwerks, das früher zu jedem Dorf gehörte. Oswin Kneist, der 1929 nach Abtlöbnitz kam, eine Schmiede einrichtete und 86 Jahre alt wurde, war bereits zu DDR-Zeiten einer der letzten Hufschmiede. „Noch in den 1960er Jahren hat er regelmäßig 68 Arbeitspferde zu beschlagen“, erzählt sein Sohn Roland. Der 72-Jährige hat 1957 in Camburg Hufschmied gelernt und bis 1998 in Abtlöbnitz gearbeitet. Da gehörte die Schmiede erst zur örtlichen LPG, dann zur Agrargesellschaft Prießnitz. Mitunter waren hier bis zu sieben Mann mit Schmiedearbeiten für den Fahrzeugpark, die Stallungen und dem Wohnungsbau beschäftigt. Roland Kneist lässt auch heute das Schmiedefeuer nicht gänzlich ausgehen. Meisel werden gehärtet und geschärft, auch Äxte und Sensen. „Aber das ist jetzt mehr Hobby“, sagt der Rentner, der im übrigen die Schmiede seines Vaters so erhalten hat, wie sie einst war: Mit den alten Maschinen zum Stauchen und Biegen, mit dem hydraulischen Hammer und dem urigen Blasebalg. An den Wänden hängen die unterschiedlichsten Formen von Hufeisen, auch für Ochsen und Ponys neben den Zangen und Hämmern und all den Werkzeugen, die der Schmied so braucht.
Nun geht’s nach Mollschütz hinter ins Tal. Das ist mit seinen 35 Einwohnern eines der kleinsten Dörfer im Burgenlandkreis. Ein Gebäude mit Geschichte, steht ocker verputzt direkt an der Bundesstraße88 und ist in dieser Gegend auch das letzte Haus, das dicht an der Thüringer Landesgrenze steht. Auf dem weitläufigen Grundstück wohnen in mehreren Gebäuden vier Familien Zimmermann, insgesamt elf Personen. Alles Nachfahren des Müllermeisters Friedrich Zimmermann, der 1848 die Mühle am Mollschützer Bach, die einzige an diesem kleinen Gewässer, gekauft hatte. Eine Bäckerei gehörte dazu und die einst weithin bekannte Gaststätte „Zur frohen Hoffnung“. Diese Fuhrmannsgaststätte war zunächst Ausleihstation für Vorspannpferde, die notwendig waren, um die schweren Wagen bergan über den Mollschützer Berg zu bringen. Dieser Berg war ob seines kurvenreichen Gefälles mit seinem tückischen Kopfsteinpflaster unter den Kraftfahrern bis zur Asphaltierung gefürchtet und ist noch immer bei nassem Wetter umsichtig zu befahren.
Bekannt war der mit Hilfe der Einwohner des Dorfes errichtete Tanzsaal, der größte im weiten Umkreis. 1854 fand hier der erste Tanz statt. In den 1920er Jahren wurde er zum Treffpunkt der Schlagenden Verbindungen der Studenten, die hier ihre Mensuren mit scharfen Klingen austrugen, was im thüringischen Jena verboten, im preußischen Mollschütz aber wohlwollend geduldet wurde. Doch das ist alles Geschichte. 1928 wurde die Mühle geschlossen, in der Gastwirtschaft 1960 das letzte Bier ausgeschenkt und auf dem Saal schon lange nicht mehr getanzt und gefeiert. Interessant schließlich noch: Artur Zimmermann, der letzte Mollschützer Gastwirt, war auch von 1945 bis zur Eingemeindung nach Abtlöbnitz 1954 der einzige Bürgermeister, den das kleine Dorf je gehabt hatte. Und als die Mollschützer LPG gegründet wurde, wählten die Bauern Artur Zimmermann zu ihrem Vorsitzenden. Die Genossenschaft erhielt den Namen seiner einstigen Gastwirtschaft: „Zur frohen Hoffnung“.


