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Hintergrund Hintergrund: Umbau einer historischen Scheune

07.12.2015, 10:52
Deutschstunde im Gemeindezentrum: Der Naumburger Bernd Schremmer übt mit den syrischen Flüchtlingen einfache Sätze.
Deutschstunde im Gemeindezentrum: Der Naumburger Bernd Schremmer übt mit den syrischen Flüchtlingen einfache Sätze. Torsten Biel Lizenz

Bad Bibra - Eine Karte von Syrien hängt an der Wand des ehemaligen Gemeinderaumes im Pfarrhaus Bad Bibra. Zwei Pin-Nadeln weisen auf Al-Mayadin und Muhaymidah - die Heimat der neuen Bewohner aus Syrien. Der Alltag der Pfarrersfamilie Schlauraff ist nicht mehr so, wie er einmal war. „Es hat etwas von einer WG. Vieles hat sich verändert“, sagt Bettina Schlauraff. Sie und ihr Mann Michael sind nicht mehr nur Pfarrer für die Einwohner der Finnestadt. Beide sind zu Sozialarbeitern, Ratgebern, Helfern geworden, wenn es um Amts-, Arzt- und Schulbesuche geht.

Vor allem sind sie auch Seelsorger für neun syrische Flüchtlinge, die seit Anfang November auf dem Pfarrhof im Pfarrhaus und dem Gemeindezentrum (siehe „Hintergrund“) wohnen. Neben drei Brüdern im Alter von 19 und 15 Jahren, die ohne Eltern nach Deutschland gekommen sind, hat auch die Familie von Aboud Al Abdullah ein neues Zuhause gefunden. „Ich bin sehr froh, hier zusammen mit meiner Familie zu sein“, sagt der 56-Jährige aus Al-Mayadin.

Bald Umzug in Wohnung

In seinem früheren Leben hat er als Englisch-Dozent gearbeitet. Er trat zuerst die beschwerliche Flucht aus seinem Heimatland über das Mittelmeer und den Balkan an, ehe seine Frau und die fünf Kinder im Alter zwischen zehn und 24 Jahren folgten. Zweimal wurde er inhaftiert und gefoltert, einmal durch das Assad-Regime, einmal von IS-Terroristen. „Es ist eine sehr lange, sehr traurige Geschichte“, sagt er, um schließlich auf seinem Handy Fotos zu zeigen - von seinem einstigen Haus mit Garten, den Verletzungen infolge der Folter und vom 17-jährigen Sohn seines Bruders. „Er ist im Oktober bei einem russischen Bombardement ums Leben gekommen“, erzählt der Syrer. Und dann fließen bei ihm die Tränen. Sein Gesicht vergräbt er in beide Hände.

Abouds Familie wird bald eine Wohnung in der Finnestadt nicht weit vom Pfarrhaus erhalten. Der älteste Sohn studiert derzeit in Berlin. Der jüngste der drei syrischen Brüder indes, die aus dem ländlich geprägten Muhaymidah stammen, zieht bald in ein künftiges Kinderheim, das für ein halbes Jahr im evangelischen Tagungs- und Freizeitheim in Thalwinkel, später in einer einstigen Krippe in Bad Bibra eingerichtet werden soll. „Wir werden dann sicherlich wieder Flüchtlinge aufnehmen“, sagt Bettina Schlauraff. Man habe einen Ein-Jahres-Vertrag mit dem Landkreis unterschrieben. Unterstützung erfährt die Pfarrersfamilie von den Einwohnern der Kleinstadt. Manch einer bringt Spenden, manch einer kommt, um einfach da zu sein und Gespräche zu führen. „Obwohl die Einwohnerversammlung, auf der die Pläne zur Unterbringung der Flüchtlinge vorgestellt wurden, recht turbulent war, habe ich bisher noch kein einziges negatives Wort gehört“, so die Pfarrerin, die über ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit den syrischen Flüchtlingen regelmäßig auf ihrer Facebook-Seite berichtet. Die jüngeren besuchen bereits die Schule, spielen Fußball im Verein.

Naumburger unterrichtet Deutsch

Trotz der neuen Bewohner im Pfarrhaus und dem Gemeindezentrum finden die Gruppen und Angebote der Kirchengemeinde statt, gibt es kaum Einschränkungen. „Es braucht jetzt einfach nur mehr Rücksicht miteinander. Aber im Moment haben alle noch viel Geduld. Wir lernen miteinander, wie wir es jetzt anders organisieren müssen. Lediglich häufige spontane Vermietungen an kleine Gruppen oder Familienfeiern mussten wir einschränken“, erzählt die Pfarrerin. Im Obergeschoss des Gemeindezentrums gibt der Naumburger Bernd Schremmer dreimal in der Woche für jeweils fünf Stunden Deutschunterricht. Schremmer hat vor seinem Ruhestand am Bundessprachenamt in Naumburg Englisch gelehrt. „Es ist eine sehr dankbare Aufgabe“, sagt der 68-Jährige, der auch in seiner Heimatstadt im Auftrag der Volkshochschule Flüchtlingen die deutsche Sprache beibringt.

Die Kinder der Schlauraffs - das jüngste ist fünf Jahre alt - sind Teil der großen Zwei-Nationen-WG. „Sie spielen mit den anderen Kindern und essen auch schon einmal dort mit“, erzählt Bettina Schlauraff. Die Sprache ist kein Problem. Einige deutsche und englische Wörter sowie Hände und Füße reichen aus. „Einige würden ihre Angst und ihre Beklemmung verlieren, wenn sie bei Begegnungen mit Flüchtlingen ins Gespräch kommen“, so Bettina Schlauraff.

Bettina Schlauraff im Gespräch mit den beiden Brüdern Mohammed und Ahmad (r.), die ohne Eltern in Deutschland sind.
Bettina Schlauraff im Gespräch mit den beiden Brüdern Mohammed und Ahmad (r.), die ohne Eltern in Deutschland sind.
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