Fischer Petrus schippert in Kirche
naumburg. - Moderator Thomas Burkhardt verblüffte mit einer Zahl: 486. Nehme man den ersten urkundlichen Beleg, eine Ratsrechnung von 1526, dann werde 2012 bereits das 486. Naumburger Hussiten-Kirschfest gefeiert. Belegen allerdings lässt sich dies nicht. Dennoch könnte Naumburg damit einen Superlativ für sich verbuchen. Und rekordverdächtig war auch der historische Umzug, der als Höhepunkt des Fests am Sonnabend durch die Innenstadt führte.
Mehr als 1 200 Mitwirkende, die 32 Bilder gestalteten, über 200 Musiker in zehn Gruppen und Spielmannszügen, Oldtimer-Autos und Alpakas, Napoleon und Bach, Bischof und Scharfrichter, Weihrauch und Notgeld, eine Pyramide und die Hildebrandt-Orgel: Auch in diesem Jahr präsentierte sich der Umzug stilecht und trotzdem farbenfroh, vielfältig und dennoch thematisch gut geordnet.
Fahnenschwenker schreitet voran
Mit nur knapp fünf Minuten Verspätung konnten Burkhardt und Co-Moderatorin Anke Scholz die Ankunft von Fahnenschwenker Ringo Fischer auf dem Markt verkünden. Seit 2005 lässt der Flemminger die 40 Kilogramm schwere Stadtfahne jährlich an der Spitze des Umzuges durch die Luft wirbeln. "Der Markt ist seine Bühne", rief Burkhardt und forderte zum Beifall auf. Zur Bühne wurde der Platz dann auch für die Prokop-Szene. Zuvor hatten Naumburgs Oberbürgermeister Bernward Küper und sein Amtskollege aus der Partnerstadt Aachen, Marcel Philipp, sowie Stadträte den Markt erreicht. Mit Entsetzen mussten sie dort die mit Gebrüll und Kampfeszorn vorgetragene Attacke der hussitischen Krieger ansehen. Schon wollte Harald Hagedorn, zum 20. Mal den Herold darstellend, den Stadtvätern klar machen, dass Naumburg nun - der Sage entsprechend - großes Unheil drohe, da stockte das Ganze. Zwar war auch Hartwig Glotze als Anführer der Hussiten hoch zur Ross bereits zu seinem Urteilsspruch bereit, doch die Kinder fehlten! Würden sie diesmal, angeführt vom Lehrer von der Schul', nicht um Gnade für ihre Stadt flehen wollen? Einige Minuten vergingen, dann betraten die in weiße Büßerhemden gekleideten Mädchen und Jungen der Montessorischule sowie des von Beatrix Fichtner geleiteten Tanzstudios den Schauplatz. "Gnade, Gnade", schallte es nun über den Markt.
Küper spricht Verpflichtung aus
Von diesem Anblick gerührt, ließ der Prokop wissen: "Ich, der Anführer eines mächtigen Heeres, kann nicht anders, eure Stadt sei frei!" Die Kinder brachen in Freude aus, tanzten. "Ich will euren Jubel hören", forderte der Moderator. Und damit meinte er auch das auf dem Markt reichlich versammelte Publikum. Küper, der das Urteil des Prokops vernommen hatte, reichte dem einen mit Saale-Unstrut-Wein gefüllten Pokal. "Hochherziger Prokop, wir danken euch und verpflichten uns, als Zeichen der Versöhnung alljährlich ein Hussiten-Kirschfest zu feiern", ließ der OB wissen. Und als weiteres Zeichen des Friedens reichten die Hussiten den Kindern rote Kirschen. Danach zog Bild für Bild an den Zuschauern vorüber. So jenes des Kirschfestvereins, in dem der Präsident des Oberlandesgerichts, Winfried Schubert, den Freiherrn von Gaertner darstellte. Der Jurist hatte einst mit Referendaren dafür gesorgt, dass auf der Vogelwiese das Referendarienzelt aufgebaut wurde. Danach warb der Bürgerverein für die Aufnahme Naumburgs sowie von Teilen des Saale-Unstrut-Gebiets in das Welterbe. Vor allem mit den Werken des Naumburger Meisters - Dom und Stifterfiguren - will die Region bei der Unesco punkten. Der Musiker Ted Thieme, der 1958 erstmals am Festzug teilgenommen hatte, gab inmitten der von Marcel Kleinschmidt angeführten Naumburger Bauhütte den Meister. Im Gefolge hatte er außerdem die Mädchen und Jungen der Uta-Schule, die als "Kleine Dombaumeister" selbst gebackene Taler an die Zuschauer verteilten.
Schulen mit originellen Bildern
Überhaupt zeigten sich die Naumburger Schulen in diesem Jahr im Umzug überaus munter und in der Ausstattung einfallsreich. Die Kinder der Evangelischen Grundschule stellten ihr Martin-Luther-Musical vor, die Georgenschüler präsentierten sich als frech-fröhliche Kirschen und die Salztorschüler verteilten selbstgefertigte Ritter.
Die Albert-Schweitzer-Schüler trugen Lorbeerkränze, die Humboldt-Schüler zeigten mit Landesfahnen, wo ihr berühmter Namensgeber Alexander als Wissenschaftler überall geforscht hatte. Ins Mittelalter, und damit an ein Unterrichtsprojekt anknüpfend, tauchte die Freie Sekundarschule ein.
Erfrischend und selbstbewusst
Erfrischend und selbstbewusst stellten sich auch die Ortsteile dar. Kurzerhand orderte beispielsweise einer der Flemminger Pfingstburschen, die 2012 ihr 90-jähriges Bestehen feiern, das Moderatoren-Mikrophon, um das Kirschfest hochleben zu lassen und die Stimmung anzuheizen. Die Bad Kösener rückten ihr Heilbad in den Mittelpunkt und präsentierten ihren Tierpark, die Prießnitzer hatten Napoleon mitgebracht und erinnerten an das Brandfest. Und die Beuditz-Wettaburger zeigten Szenen ihres zum Geburtstag der Pfingstgesellschaft konzipierten Umzugs. Dazwischen wurde Stadtgeschichte in bis in die Details - so in der Szene "Lepsius am Nil" - liebevoll gestalteten Bildern dargestellt.
Vereine präsentieren sich lautstark
Nicht fehlen durften die Sport- und weiteren Vereine. Ob Weinbaugesellschaft oder Kleingärtner, Kampfsportler oder Oldtimer-Freunde, Schützen oder Freunde der Schellsitzer Fähre - sie alle zeigten, wie vielfältig und lebendig Naumburg ist. Lautstark ließen das die Handballer vom HSV Naumburg-Stößen ebenso wissen wie die Narrenzunft. Eine dagegen musste immer wieder diese akustischen Sondereinlagen "ausblenden", um am Sprechfunkgerät die neuesten Mitteilungen zu hören: Yvonne Schulz.
Die Mitarbeiterin des Bereichs Kultur und Tourismus war nicht nur für die Vorbereitung und Planung des Umzuges verantwortlich, ihr oblag auch die gesamte Koordination. Vom Publikum auf dem Markt erhielt sie dafür einen Sonderapplaus.